Es gärt in Dänemark vor dem Gang zu den Wahlurnen
Der dänische Regierungschef, Statsminister Lars Løkke Rasmussen, fordert dauerhafte Grenzkontrollen, die Insel Lindholm in der Stege Bugt zwischen Sjælland (Seeland) und Møn, wird zum „Alcatraz“ für abgelehnte Asylbewerber. Kurz vor der Europa- und der wenige Tage später folgende Folketingswahl scheint der „liberale und hyggelige Wohlfahrtstaat“ Dänemark unruhigen Zeiten entgegenzusehen.
Für viele Dänen dürfte etwas faul in ihrem Staat sein. Eines zumindest ist sicher: Es gärt im Land. Doch die EU-Größen in Brüssel und die Medien scheinen kaum Notiz von den sozialen Spannungen und Entwicklungen zu nehmen. Wollen sie nicht wahrhaben, was sich im vermeintlichen Musterstaat Dänemark seit Jahren abspielt? Sicherlich haben die EU-Politiker wegen des Brexits und den EU-Querulanten Viktor Orbán mit seiner FIDES-Partei in Ungarn und Lech Kaczyńskis rechtspopulistischer PIS-Partei alle Hände voll zu tun, um die EU zusammenzuhalten, aber trotzdem wäre das fahrlässig, denn auch von Norden droht von „rechter Seite“ Ungemach.
Bei der letzten Folketingswahl im Jahre 2015 fuhren die dänischen Socialdemokraterne ihre größte Wahlschlappe seit 100 Jahren ein. Mit einem Rückgang um satte 30 Prozentpunkte erhielten sie nur noch 26 Prozent der Stimmen. Beobachter führen dieses vor allem auf die neoliberale Politik der damaligen sozialdemokratischen Regierung von Statsministerin Helle Thorning-Schmidt zurück – ähnlich wie in Deutschland unter der „sozialdemokratischen“ Sozialabbau-Kanzler Gerhard Schröder. Diese Politik wurde von den enttäuschten Wählern abgestraft, die den schleichenden Abbau des dänischen Wohlfahrtsstaates zunehmend zu spüren bekommen.
Seit den Wahlen im Jahre 2015 stellt nun eine sogenannte „Mitte-Rechts-Koalition“ unter Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen eine Minderheitsregierung, die sich aus den Parteien Venstre (Rechtsliberale Partei), Liberal Alliance und Det Konservative Folkeparti zusammensetzt. Sie leitete eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) ein, die von einer wachsenden Verunsicherung der Bevölkerung profitierte. Spätstens seit diesem Zeitpunkt hat harte die Realität nicht mehr viel mit dem einstigen Image Dänemarks als Bollwerk des sozialen Friedens zu tun. Die jüngsten Aussagen von Regierungschef Rasmussen sind da nur die Spitze des Eisbergs.
Im dänischen Kruså an der Genze zu Flensburg sorgte er am Montag – vor allem innerhalb Dänemarks – mit Äußerungen über dauerhafte Grenzkontrollen zu Deutschland für Aufsehen. Vor allem die von seiner Partei Venstre wahrgenommene „Terrorgefahr“, aber auch das Problem der „grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität“ würden für eine solche Lösung sprechen, selbst bei sinkenden dänischen Asylbewerberzahlen, die inzwischen kaum noch erwähnenswert sind. Laut Rasmussen müsse daher die Zusammenarbeit im Schengenraum reformiert werden.
Bereits seit Januar 2016 kontrollieren die dänische Polizei zusammen mit der Hjemmeværnet (Heimwehr) an der Grenze aus Deutschland einreisende Fahrzeuge und Insassen. An drei Grenzposten geschieht das lückenlos, an den anderen vier Grenzübergängen geschieht es bisher nur stichprobenartig. Auch wenn die Kontrollen offiziell vorläufigen Charakters sind, wurden die Maßnahmen regelmäßig verlängert und verschärft. Und wenn es nach Rasmussen ginge, würden bald auch Ausreisende solchen Kontrollen unterworfen.
Vor den EU-Parlamentswahlen sind das sicherlich keine erfreulichen Nachrichten für die EU-Strategen. Doch nur rund zwei Wochen nach der EU-Wahl am 26. Mai wird in Dänemark am 5. Juni noch einmal gewählt: Die Wahl zum nächsten Folketing – dem dänischen Parlament. Dieser Tag dürfte sich für Brüssel ebenfalls als Herausforderung erweisen, die die EU daran erinnern dürfte, die Probleme im Land ernst zu nehmen und nicht zu marginalisieren.
Südlich der Grenze, dürfte der Name Rasmus Paludan kaum bekannt sein. Dessen ultra-konservative neue Partei „Stram Kurs“ (Strammer Kurs) wird im Juni erstmals bei der dänischen Parlamentswahl antreten. Gerne verbrennt Paludan bei Veranstaltungen provokativ und öffentlichkeitswirksam auch mal einen Koran und schürt damit auch das Feuer der wachsenden sozialen Spannungen.
Im vergangenen Jahr löste Paludan mit seinen Provokationen in der Hauptstadt København Ausschreitungen aus. Wegen Rassismus wurde der „Stram Kurs“-Rechtsanwalt Paludan bereits verurteilt. Nach aktuellen Umfragen befürworten 2,4 Prozent der wahlberechtigten Dänen den „strammen Kurs“. Da in Dänemark eine 2-Prozent-Hürde gilt, würde Paludans Partei damit also bei den Wahlen ins Folketing einziehen.
Ein weiteres Symptom dafür, dass beim nördlichen Nachbarn Deutschlands einiges im Argen liegt, dürfte die Insel Lindholm sein – auch das „Alcatraz“ Dänemarks genannt. Ab kommendem Jahr soll das winzige, unbewohnte Eiland die „im Land unwillkommensten Menschen“ aufnehmen. Damit sind abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben wurden, sowie straffällige Ausländer gemeint. Demnach sollen etwa 129 Menschen dieser Zielgruppe auf die Insel gebracht werden. Einmal vor Ort, müssen die neuen Inselbewohner dort vor allem übernachten und sich auch regelmäßig bei den dortigen Behörden einfinden und als anwesend melden.
„Dadurch haben wir Kontrolle über ihren Aufenthaltsort. Es ist nämlich ein Problem für uns, dass manche Ausländer, die eigentlich ausgewiesen werden sollen, immer noch Straftaten begehen, ohne dass wir die Möglichkeit haben, sie zu kontrollieren“, sagte der dänische Finanzminister Kristian Jensen (Venstre).
Wie er weiter ausführt, handele es sich aber keinesfalls um ein Gefängnis, denn das sei schließlich auch nicht vereinbar mit dem Völkerrecht. Jensen weiß wovon er spricht, denn es ist noch gar nicht abschließend geklärt, ob sich dieses Konzept einer Strafinsel mit europäischem Recht vereinbaren lässt. Ein ähnliches Vorhaben Italiens scheiterte bereits 1980 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Es ist ungewiss, ob die ausgewählten Menschen mit dem „Virus des Unerwünschtseins“ auf jenes Eiland übersetzen werden, also mit der Fähre, die das Eiland mit dem Festland verbindet. Um zu verhindern, dass die neuen Bewohner im Land sesshaft werden, sollen die Ticketpreise steigen und die Fähre in Zukunft nur noch seltener fahren.
„Sie sind nicht willkommen in Dänemark, und das werden sie spüren,“ erklärte die dänische Immigrationsministerin Inger Strojberg (Venstre), die ihr Amt als Integrationsministerin als „Ausländerabwehrkanone“ weidlich nutzt und zu genießen scheint.
Besonders lebenswert dürfte die kleine Insel tatsächlich nicht sein. Auch der Name des Fährschiffes geht darauf zurück, dass die Insel Lindholm zuerst und auch derzeit noch „eine Forschungsstelle für Tierseuchen samt Labor und Krematorium“ beherbergt.
Die jüngsten Entwicklungen im Nachbarland dürften nicht ins Kalkül des Friedensnobelpreisträgers 2012, „Europäische Union“, passen. Letztendlich sind auch sie nur ein Symptom für gesellschaftspolitische Fehlentwicklungen deren politische Metastasen bislang vor allem mit dem populistischen Kampf gegen den „rechten Populismus“ behandelt werden, ohne auf das eigentliche Leiden des „Patienten Europa“ einzugehen.
In aktuellen Umfragen steht Lars Løkke Rasmussen nicht allzu gut da. Für seine sozialdemokratische Kontrahentin Mette Frederiksen stehen die Chancen gut, ihn nach dem 5. Juni an der Regierungsspitze abzulösen. Ob die dänische Bevölkerung gesellschaftlich von einem Machtwechsel profitieren wird, steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben, denn die Vorsitzende der Socialdemokraterne, Mette, Frederiksen, hat sich ganz wie einst Gerhard Schröder sehr weit von der sozialdemokratischen Politik entfernt, die die Sozialdemonkraten einst groß und zur Volkspartei gemacht haben .
von
Günter Schwarz – 22.05.2019