Was geschah am 19. Juli 1912 in unserem Dänemark?
Die dänischen Polarforscher Ejnar Mikkelsen und Iver Iversen werden nach zwei unfreiwilligen Überwinterungen in Nordostgrönland am 19. Juli 1912 vom norwegischen Robbenfänger „Sjöblomsten“ gerettet.
Der am 23. Dezember 1880 im jyske (jütländischen) Vester Brøderslev Ejnar „Miki“ Mikkelsen war ein dänischer Polarforscher, Autor und Inspekror für Grønland. Er nahm an Expeditionen nach Grønland und Franz-Josef-Land teil und leitete weitere nach Alaska und Grønland. 1924 gründete er in Ostgrønland die Siedlung Ittoqqortoormiit (dänisch: Scoresbysund).
Ejnar Mikkelsen wurde 1880 in Brønderslev als Sohn Aksel Mikkelsens (1849–1929), eines Schulreformers, der sich für die Einführung des Werkunterrichts nach schwedischem Vorbild an den dänischen Volksschulen einsetzte, und dessen Ehefrau Maren Nielsen Mikkelsen (1846–1934) geboren. Seine Schwester war die spätere Schriftstellerin und Übersetzerin Aslang Mikkelsen Møller (1876–1964).
Ejnar war noch ein Kind, als die Familie nach København zog. An der Schule zeigte er mit Ausnahme des Geographieunterrrichts wenig Interesse und verließ sie mit 13 Jahren. Nach einem gescheiterten Versuch, seine Ausbildung auf einer Privatschule fortzusetzen, erlaubte ihm sein Vater, die seemännische Laufbahn einzuschlagen, die er auf dem Schulschiff „Georg Stage“ begann. Er wurde Schiffszimmermann und fuhr drei Jahre auf verschiedenen Schiffen nach Fernost.
Der abenteuerlustige junge Mann träumte aber von der Teilnahme an einer Entdeckungsreise. 1896 bewarb er sich bei Salomon August Andrée, um an dessen Ballonfahrt zu Nordpol teilzunehmen, und 1898 bei Fridtjof Nansens Kapitän der „Fram“, Otto Sverdrup, der sich anschickte, eine mehrjährige Fahrt in die kanadische Arktis zu unternehmen. Mikkelsen wurde jeweils mit der Begründung abgewiesen, er sei zu jung.
1899 bestand er an der Seefahrtschule in København die Steuermannsprüfung. Nachdem auch eine Anfrage beim russischen Polarforscher Eduard von Toll abschlägig beschieden worden war, bekam Mikkelsen schließlich die Gelegenheit, an der Expedition des dänischen Marineoffiziers Georg Carl Amdrup nach Ostgrønland teilzunehmen.
Von Mikkelsens Expedition nach Alaska wurde in Dänemark wenig Notiz genommen. Die Öffentlichkeit war von der dramatischen Entwicklung einer anderen Polarexpedition gefesselt. Ludvig Mylius-Erichsen war 1906 mit der „Danmark“ aufgebrochen, um unter anderem den letzten noch unbekannten Küstenverlauf im Nordosten Grønlands aufzuklären. Er hatte die Aufgabe gelöst, war allerdings mit dem Kartographen Niels Peter Høeg-Hagen und dem grönländischen Schlittenführer Jørgen Brønlund verschollen, nachdem die Gruppe zuletzt Ende Mai 1907 am Danmarkfjord gesehen worden war.
Johan Peter Koch stieß im Frühjahr 1908 am Versorgungsdepot in Lambert-Land auf den toten Brønlund und brachte dessen Tagebuch heim, demzufolge Høeg-Hagen am 15. November 1907 gestorben wäre und Mylius-Erichsen zehn Tage später. Koch fand auch die Landaufnahmen und Kartenskizzen Høeg-Hagens. Mikkelsen überzeugte daraufhin das Organisationskomitee der Danmark-Expedition, ihn mit der Leitung einer zweiten Expedition zu betrauen, deren Aufgabe es sein sollte, Mylius-Erichsen, Høeg-Hagen und deren Tagebücher zu suchen. Für die Kosten kam zur Hälfte die dänische Regierung auf. Der Rest wurde aus privaten Spenden finanziert.
Die Expedition, die København am 20. Juni 1909 auf dem Schoner „Alabama“ verließ, bestand aus lediglich sieben Teilnehmern. Mikkelsens Stellvertreter war der Marineoffizier Wilhelm Laub (1887–1945). Schon in Tórshavn auf den Færøerne mussten die Pläne radikal geändert werden. Die fünfzig Schlittenhunde, die hier übernommen werden sollten, waren krank und mussten getötet werden.
Mikkelsen steuerte deshalb zunächst Ammassalik an, um neue Hunde zu kaufen. Anschließend fuhr er nach Island, um dem erkrankten Maschinisten der „Alabama“ die Heimreise zu ermöglichen. Als Ersatz kam Iver Iversen (1884–1968) an Bord. Erst am 25. August wurde die Insel Shannon erreicht. Zur großen Enttäuschung Mikkelsens war der weitere Weg nach Norden durch dichtes Packeis versperrt. Am 27. August ging die „Alabama“ in einer kleinen Bucht Shannons (heute „Alabama Havn“ genannt) vor Anker, 160 km südlich der Basis der Danmark-Expedition in Danmarkshavn.
Einen Monat später konnten die ersten Schlittentouren über das frische Meereis unternommen werden. Eine Gruppe um Mikkelsen fuhr nach Danmarkshavn und weiter nach Norden, um Versorgungsdepots anzulegen. Am 30. Oktober – die Polarnacht hatte bereits begonnen, aber der Vollmond spendete genug Licht – fanden sie Brønlund am Depot in Lambert-Land, suchten vergeblich nach weiteren Papieren und begruben ihn schließlich unter großen Steinen. Die anschließende Suche nach dem letzten Lager Mylius-Erichsens blieb erfolglos. Am 16. Dezember war die Gruppe wieder auf der „Alabama“ ohne viel erreicht zu haben.
Mikkelsens Hoffnung bestand nun darin, Aufzeichnungen Mylius-Erichsens in der Nähe des Danmarkfjords zu finden, wo dieser den Sommer 1907 verbracht hatte. Nachdem der Winter genutzt worden war, um weitere Depots anzulegen, brach er am 4. März 1910 mit Iver Iversen und einer vierköpfigen Hilfsmannschaft nach Norden auf. Innerhalb von 13 Tagen war die Gruppe in der Dove-Bucht, von wo aus Mikkelsen den Auslassgletscher Storstrømmen benutzte, um auf das Inlandseis zu gelangen.
Die Männer kamen viel langsamer voran, als Mikkelsen gehofft hatte, und als die Hilfsgruppe am 10. April umkehrte, hatte er wenig Hoffnung, die „Alabama“ rechtzeitig zum spätestmöglichen Abfahrtstermin am 15. August wieder zu erreichen. Mit Proviant und Brennmaterial für 100 Tage zog er mit Iversen weiter nach Norden. Erst am 13. Mai verließen sie den Eisschild und fünf Tage später erreichten sie den Danmarkfjord, dessen Verlauf sie nun folgten.
Am 22. Mai fand Mikkelsen die erste Nachricht Mylius-Erichsens, die auf den 12. September 1907 datiert war. Am 25. stieß er auf das Sommerlager Mylius-Erichsens und fand am 26. in einem Steinhügel eine zweite Nachricht vom 8. August 1907. Erstaunt erfuhr er, dass der Peary-Kanal nicht existiere, was eine unheilvolle Neuigkeit war, denn Mikkelsen hatte erwogen, über diesen an die Westküste Grønlands und in bewohnte Gegenden zu gelangen.
Jetzt blieb ihm nur übrig, den beschwerlichen Weg an der Ostküste entlang zu nehmen wie Mylius-Erichsen drei Jahre zuvor. Bei Kap Rigsdagen überschritten Mikkelsen und Iversen den 82. Breitengrad und erreichten den nördlichsten Punkt ihrer Reise. Mit nur noch sieben Hunden und einem Schlitten begannen sie ihre fast 900 km lange Reise über das unwegsame tauende Meereis. Geschwächt von Hunger und Skorbut, immer wieder aufgehalten von sich öffnenden Rinnen im Meereis suchten sie ihren Weg nach Süden.
Unter Nutzung der Versorgungsdepots der Danmark-Expedition und gelegentlicher Jagdbeute entkamen sie dem Hungertod, aber in der Nähe von Schnauder Ø aßen sie ihre letzten zwei Hunde. Am 18. September erreichten sie völlig erschöpft die Hütte in Danmarkshavn, wo sie zunächst blieben. Vom 5. bis 25. November bewältigten sie das letzte Wegstück zur Insel Shannon. Dort fanden sie das Wrack der „Alabama“, die schon im Frühjahr vom Eis zerdrückt worden war, und eine aus den Wrackteilen gezimmerte Hütte. Die Mannschaft war schon im Juli von einem Robbenfänger aufgenommen worden.
Nach ihrer zweiten Überwinterung gingen Mikkelsen und Iversen am 25. April 1911 erneut nach Norden, um ihre Tagebücher zu holen, die sie auf einer Schäre im Skærfjorden nördlich von Germanialand zurückgelassen hatten. Leider hatte ein Eisbär das Depot durchwühlt, so dass nur ein Teil der Papiere gefunden werden konnte.
Den Sommer über warteten Mikkelsen und Iversen auf Shannon auf die Ankunft eines Schiffes, dass sie nach Hause bringen würde, aber es kam keines. Sie beschlossen, noch im Herbst mit ihrem schweren Beiboot 30 km nach Süden auf die Insel Bass Rock umzuziehen und im nächsten Jahr, die Fahrt an der Ostküste nach Ammassalik zu wagen. Das Boot stellte sich aber als zu schwer für zwei Männer heraus und musste an einer Eispressung zurückgelassen werden.
Auf Bass Rock angekommen fanden sie in einer der zwei für die Baldwin-Ziegler-Expedition gebauten Hütten eine Nachricht des Kapitäns des norwegischen Walfängers „Laura“, der hier im Juli 1911 nach Spuren der Vermissten gesucht hatte. Mikkelsen bedauerte jetzt, im Sommer untätig auf Shannon abgewartet zu haben. Nach ihrer dritten Überwinterung holten Mikkelsen und Iversen weiteren Proviant von Shannon, waren aber zu schwach, um das Boot über das Eis zu ziehen. So warteten sie auf Bass Rock, bis am 19. Juli der norwegische Robbenfänger „Sjöblomsten“ kam und sie nach Ålesund mitnahm. Kapitän Paul Lillenæs sicherte sich damit die von der dänischen Regierung ausgeschriebene Belohnung von 10.000 Kronen.
Trotz seiner beeindruckenden Leistung während der Alabama-Expedition fand Mikkelsen in Dänemark nicht die Anerkennung, die er sich erhofft hatte. Anders als erwartet erhielt er nicht die Goldmedaille der Dänischen Geographischen Gesellschaft. Die dänische Regierung zahlte ihm lediglich 1.000 Kronen aus.
Ejnar Mikkelsen verstarb am 01. Mai 1971 in København.
von
Günter Schwarz – 19.07.2019