Das Attentat vom 20. Juli 1944 – ein geschichtsträchtiges Datum! – war der bedeutendste Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus, wofür später mehr als 200 Offiziere, Botschafter, Dipolomaten, Minister und Staatssekretäre wegen der Erhebung hingerichtet wurden. Doch auch ihre Familienangehörigen wie Ehefrauen und Kinder bekamen die Rache der „braunen Pest“ zu spüren.

Die NS-Propaganda schmähte Graf von Stauffenberg und die Verschwörer des 20. Juli als „feige Vaterlandsverräter“, die dem Deutschen Reich in Zeiten höchster Not in den Rücken gefallen seien. Diese (nationalsozialistische) Interpretation des Attentats wirkt bedauerlicherweise noch bis heute in einigen Teilen der deutschen Bevölkerung nach. Ansonsten ist es nicht nachvollziehbar, dass im heutigen demokratisch regierten Deutschland wieder Gedankengut aufkommt und sich gar in „völkischen“ Parteien organisiert, die mit der nationalsozialistischen Ideologie sympathisieren und mit den Nazis nahezu identische Ziele wie z. B. eine „deutsche Volksgemeinschaft“ verfolgen.

Und geradezu pervers ist die Argumentation der Funktionäre dieser politischen Gruppierungen und Parteien, die sich auf die demokratisch garantierte Meinungsfreiheit berufen – eine Freiheit, die sie selbst ablehnen, bekämpfen und am liebsten abgeschafft sähen – indem sie eine vielfaltig orientierte Presse generell als „Lügenpresse“ bezeichnen.

Zurecht gedenken Demokraten aller Parteien heute den 20. Juli 1944 mit Ansprachen, Kranzniederlegungen und Gedenkfeiern, der an die Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 erinnert und deren Vorbildfunktion für die Gegenwart hervorhebt. Federführend sind dabei die Stiftung 20. Juli 1944 und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Seit 1999 legen Rekruten der Bundeswehr in Berlin am 20. Juli das Feierliche Gelöbnis ab, was zunächst im Bendlerblock geschah und seit 2008 auch vor dem Reichstagsgebäude erfolgt.

Am 20. Juli 1944 explodierte im „Führerhauptquartier“ Wolfsschanze in Ostpreußen die von Oberst von Stauffenberg gelegte Bombe, die den „Führer“ Adolf Hitler töten sollte. Doch das Attentat, das eine Widerstandsgruppe rund um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg geplant hat und das durch Stauffenberg persönlich durchgeführt wird, misslingt und Hitler überlebt.

Die Widerstandskämpfer werden festgenommen und kurz danach hingerichtet. Ihre Familien werden in „Sippenhaft“ genommen, wobei die Ehefrauen und volljährige Kinder ins Gefängnis gesteckt werden, und die jüngeren Kinder bis zu 15 Jahren werden in den Harz nach Bad Sachsa in ein NS-Kinderheim zur „Umerziehung“ verschleppt.

Im Sommer 1944 lässt die Gestapo in Bad Sachsa im Borntal im Harz ein ganzes Kinderheim räumen. Alle Kinder und Jugendlichen und die Betreuerinnen werden auf die Straße gesetzt. Sie müssen Kindern weichen, die hier in „Sippenhaft“ genommen werden sollen. Es sind die Kinder der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944.

Das Heim im Borntal wurde eigens für die Kinder der Attentäter vom 20. Juli 1944 geräumt.

Bereits wenige Stunden nach dem Attentat hatte Hitler die Widerstandskämpfer als „Elemente, die jetzt unbarmherzig ausgerottet werden“ bezeichnet. „Da ist Verräterblut drin“, erklärt Reichsinnenminister Heinrich Himmler und verfügt die „absolute Sippenhaftung“ für die Angehörigen.

Geplant war anfangs, bis zu 200 Kinder und Jugendliche in Bad Sachsa zu internieren. Ihrer Identität beraubt und mit neuen Namen versehen, sollten sie später an Adoptivfamilien übergeben werden. Das Ziel war eine komplette Umerziehung der Kinder für „Führer, Volk und Vaterland“.

Zwischen August und September 1944 bringen die Nazis insgesamt 46 Kinder der Widerstandskämpfer nach Bad Sachsa. Sie sind im Alter von 1 Monat bis zu 15 Jahren. Zu ihnen zählt auch der damals siebenjährige Friedrich-Wilhelm von Hase. Sein Vater, der Offizier und Widerstandskämpfer Paul von Hase, wird am 8. August 1944 von den Nazis in Berlin erhängt. Fünf Wochen nach der Hinrichtung reißt die Gestapo den Jungen nachts aus seinem Bett und verschleppt ihn in das Kinderheim nach Bad Sachsa.

Geschwister wurden meist voneinander getrennt in unterschiedlichen Häusern untergebracht – hier ein Blick in einen der Schlafsäle.

Der Junge ist ganz allein. „Meine Geschwister waren sehr viel älter, die waren im Gefängnis. Meine Mutter natürlich auch, und ich war hier auf mich selbst gestellt. Es war eine beängstige Situation, weil man uns unserer Identität beraubt hatte. Man hatte uns neben den Namen alles genommen, was an Sicherheit für ein Kind von existentieller Bedeutung ist“, erinnert sich der heute 82-Jährige.

Auch Bertold, der Sohn von Claus Schenk von Stauffenberg, wird nach Bad Sachsa verschleppt. Erst spät, am 7. Februar 1945, kommen auch die Enkel Carl Goerdelers, der nach einem erfolgreichen Umsturz als neuer Reichskanzler vorgesehen war und am 2. Februar 1945 hingerichtet wird, in das Borntal. Der ältere, Rainer, ist damals vier Jahre alt, sein jüngerer Bruder Carl 16 Monate alt. Erst im Juli 1945 darf ihre Mutter Irma, die selbst inhaftiert war, die Brüder in Bad Sachsa abholen. Bis heute sitzt das Trauma des Verlassenseins tief. „Ich habe ein inneres Frieren durch die Fremdheit, die ich erlitt“, erklärt Carl Goerdeler seine Emotionen heute.

Rainer Goerdeler kommt mit seinem kleinen Bruder Carl erst im Februar 1945 nach Bad Sachsa.

Zwei weitere verschleppte Kinder sind die damals achtjährige Helmtrud und ihr Bruder Albrecht. Die Geschwister bekommen den Nachnamen „Schulz“. Ihr Vater Albrecht von Hagen ist einer der Hitler-Attentäter und wird hingerichtet, seine Frau Erica verhaftet. Doch die Kinder wissen davon nichts. Helmtrud fühlt sich von ihren Eltern im Stich gelassen. „Ich habe Briefe voller Erwartung geschrieben. Dass keine Antwort kam, war sehr schmerzlich. Das machte die Verlassenheit jeden Tag tiefer. Diese tiefe Verlassenheit spüre ich noch heute und sie macht mich ein bisschen misstrauisch Menschen gegenüber“, so die heute 82-Jährige.

Bis heute leidet Helmtrud, die Tochter von Albrecht von Hagen (hier in den 40er-Jahren mit ihrem Bruder Albrecht), unter den Erlebnissen.

Statt der ursprünglich geplanten 200 Kinder werden nur 46 Kinder in Bad Sachsa untergebracht. Ab Mitte Februar 1945 werden nur noch 18 von ihnen festgehalten – die Nazis haben die meisten bereits wieder nach Hause entlassen. Die verbliebenen Kinder entgehen wenige Wochen später nur knapp dem Tod: Sie sollen kurz vor Kriegsende, am 3. April 1945, mit dem Zug von Nordhausen ins KZ Buchenwald gebracht werden. Doch ein Bombenangriff hat in der Nacht zuvor den Bahnhof zerstört – statt ins Konzentrationslager kommen die Kinder zurück nach Bad Sachsa.

Kurz danach besetzen die Amerikaner den Ort und setzen den Sozialdemokraten Willy Müller als kommissarischen Bürgermeister ein. Er stellt die Kinder unter seinen persönlichen Schutz. Der Tagebucheintragung eines der Kinder zufolge sagt er wörtlich: „Und jetzt heißt ihr wieder so wie früher. Ihr braucht euch eurer Namen und Väter nicht zu schämen, denn sie waren Helden.“

Heute informiert eine Daueraustellung in der Tourist Information Bad Sachsa über das Schicksal der Heimkinder. Auf dem Gelände des früheren Kinderheims entsteht nun ein Ferienpark. Die ehemaligen Wohnhäuser der Kinder des 20. Juli 1944 sollen aber erhalten bleiben.

von

Günter Schwarz – 20.07.2019