
Fischereigewerbe vom Brexit hart getroffen – fühlt sich als Geisel
(Thyborøn) – Die EU-Politiker Søren Gade und Niels Fuglsang haben Thyborøn besucht, wo das größte Unternehmen des Hafens die Situation mit dem Brexit und dem Vereinigten Königreich als Zirkus bezeichnet, in dem sie sich als Geisel genommen fühlt.
Brüssel und Thyborøn sind zwei ungerade Größen zueinander, aber sowohl in der EU-Hauptstadt Belgiens als auch im Fischerdorf in Vestjylland (Westjütland) ist man mehr als verwirrt über den Brexit und Großbritanniens chaotischem Abschied von der Europäischen Gemeinschaft.
„Es ist ein Zirkus“, sagt Niels Olaf Vinther Jensen. Er ist Eigentümer und Geschäftsführer der Firma „Kynde & Toft“, die mit knapp 100 Mitarbeitern das größte Unternehmen im Hafen von Thyborøn ist. „Kynde & Toft“ bietet Komplettlösungen für die Fischerei. Das Unternehmen überholt, repariert und baut neue Schiffe, wobei auch Kunden aus Großbritannien kommen. Derzeit ist ein Trawler für eine schottische Reederei im Bau. Einige britische Kunden sind durchaus gewillt, Bestellungen bei „Kynde & Toft“ aufzugeben, halten sich aber aufgrund des Brexits zurück – und der Unsicherheit, die der Brexit mit sich bringt.
„Wir werden als Geiseln genommen. Dies gilt ebenso für Finanzen wie auch für Arbeitsplätze. Es gibt stagnierende Vereinbarungen, mit denen wir nichts anfangen können, weil sich alles in der Pattsituation befindet“, sagt Niels Olaf Vinther Jensen.

Zwei neu gewählte EU-Abgeordnete, Niels Fuglsang (Socialdemokraterne) Und Søren Gade (Venstre / Rechtsliberale Partei), spüren die Enttäuschung des Geschäftsinhabers. Er nennt den aufwändigen Brexit-Prozess kurz als „useriøs“ (unseriös).
Niels Olaf Vinther Jensen spricht direkt aus dem Bauch heraus, als er die beiden Europaabgeordneten am Dock vor seiner Firma im Hafen von Thyborøn trifft. Beide Politiker hatten eine Einladung angenommen und für eine Weile haben sie die „Elfenbeintürme“ von Brüssel und Straßburg verlassen. Sie hören aufmerksam zu, da sie in Thyborøn auf die Realität treffen, die Menschen im Hafen, bei denen die Frustration über den Brexit am größten ist.
„Das Bewusstsein, das sie über den Brexit haben – das Wissen, das sie über den Brexit haben – ist in Thyborøn größer als beispielsweise in Holstebro, wage ich zu sagen. Weil es so offensichtlich ist, dass es für die gesamte Kommune wichtig ist, sagt Søren Gade. Hier sind die Branchen ansässig, die am meisten nach Britannien exportieren.
Nachfolgend ist abzulesen, wie viel in dänischen Kronen die dänischen Lebensmittelexporte nach Großbritannien im Jahr 2017 waren:
* Milchprodukte: 3,7 Mrd. Kronen (495,23 Mio. Euro)
* Schweinefleisch: 3,4 Mrd. Kronen (455,07 Mio. Euro)
* Meeresfrüchte: 1,5 Mrd. Kronen (20,77 Mio. Euro)
* Enzyme: 212 Mio. Kronen (28,38 Mio. Euro)
* Geflügelfleisch: 129 Mio. Kronen (17,27 Mio. Euro)
* Rindfleisch: 106 Mio. Kronen (14,19 Mio. Euro)
* Sonstige (Kekse, Brot, Getränke, Getreide, Gemüse, Eier, Zucker usw.) 2,3 Mrd. Kronen (307,85 Mio. Euro)
Quelle: Ministerium für Umwelt und Ernährung.
Der gesamte Hafen von Thyborøn erlebt das Chaos um den Brexit. Die bedeutende Fischerei-Branche merkt es, und den Fischern geht der Atem aus, während die Briten im dritten Jahr immer noch nicht wissen, ob und wie sie sich von der EU verabschieden sollen.
„Es ist zu lang, um in Unsicherheit zu leben und nicht zu wissen, wie es weitergeht. Und selbst bei den Umfragen, die jetzt stattgefunden haben, weiß niemand, wo wir stehen“, sagt der Fischer Tonny Nees.

Die dänischen Fischer machen insgesamt 40 Prozent ihres Fangs in britischen Gewässern. Für sie ist es entscheidend, dass es auch bei einem britischen Ausfall eine Vereinbarung gibt, dass die dänische Fischerei dann auch noch in den Gewässern vor Großbritannien auf Fischfang gehen kann.
„Wenn die 40 Prozent woanders gefangen werden sollen, werden an den Fangplätzen mehr Schiffe sein und mehr Druck verursachen. So wird es wirtschaftlich – auch für die Häfen – nur eine kurze Zeit dauern, bis wir einen großen Teil der Einnahmen einbüßen“, schätzt Tonny Nees.

Der Fischhändler trifft Niels Fuglsang und Søren Gade auf der Brücke seines brandneuen Schiffes, die „Anders Nees“, einem hochmodernen Fischkutter für mehr als 25 Mio. Kronen (3,35 Mio. Euro), der auf Speisefischfang geht – auch in britischen Gewässern. „Als wir dieses Schiff bestellten, dachten wir, der Brexit wäre bei der Indienststellung des Kutter schon lange Vergangenheit“, erklärt Tonny Nees
„Es hat gute Zeiten beim Fischen gegeben. Wir haben gute Quoten gehabt aber jetzt scheint es ein bisschen schwarz auszusehen“, sagt der Fischhändler.

von
Günter Schwarz – 30.10.2019