Im Vernichtungslager Kulmhof begann vor 78 Jahren, am 08. Dezember 1941, das maschinell betriebene Morden der Nazis. Es war eine kleine Einrichtung, nicht einmal ein richtiges „Lager“, die keinen anderen Zweck hatte, als möglichst viele Menschen so schnell wie möglich umzubringen. Die zehn Männer auf dem Foto gehörten zu der kleinen Belegschaft von etwa 15 SS-Leuten und rund 90 Ordnungspolizisten, die innerhalb von knapp 16 Monaten mindestens 145.031 Menschen umbrachten.

Das Vernichtungslager Kulmhof, auch als Vernichtungslager Chełmno bekannt, befand sich in Chelmo nad Nerem, das während der deutschen Besetzung Kulmhof am Nehr hieß, nahe der Stadt Dąbie – Name während der Besetzung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs Eichstädt (Wartheland). Das Vernichtungslager der Nationalsozialisten lag etwa 130 km östlich von Poznań (dtsch,: Posen) zwischen 1939 und 1945 mit den Verwaltungsbezeichnungen Landkreis Warthbrücken im Reichsgau Wartheland und nordwestlich von Łódź (Lodsch).

Kulmhof wurde hauptsächlich zwischen Dezember 1941 und März 1943 als Vernichtungsstätte benutzt, danach geräumt und nochmals im Sommer 1944 zur Ermordung von Juden des Ghettos Litzmannstadt verwendet.

Am 16. Juli 1941 übersandte Rolf-Heinz Höppner, der Führer des SD-Leitabschnitts Posen, einen Aktenvermerk an Adolf Eichmann. Darin wurde in Erwägung gezogen, nicht arbeitseinsatzfähige Juden „durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen.“ Ein derartiges „schnellwirkendes Mittel“, nämlich Vergasung mittels Kohlenstoffmonoxidgas aus Stahlflaschen, setzte das „Sonderkommando Lange“ unter Herbert Lange schon seit Ende 1939 im Warthegau ein, um Insassen psychiatrischer Anstalten zu ermorden. Die Suche nach einem Ort zur Tötung von nicht zur Zwangsarbeit einsetzbaren Juden begann im Kreis Warthbrücken (pln.: Kolo) noch im Juli 1941.

Erster Kommandant des Vernichtungslagers Kulmhof war Herbert Lange

Als Vernichtungsstätte wurde im Dorf Kulmhof ein unbewohntes Gutshaus nebst Park und Kornspeicher sowie Teile einer angrenzenden Gärtnerei gepachtet; das „Schlossgelände“ wurde mit einem Bretterzaun abgeschirmt. Im Oktober und November 1941 trafen die Angehörigen des Sonderkommandos ein. Neun Wochen dauerten die Vorbereitungen, dann begann am 8. Dezember 1941 das Morden, indem zunächst Juden aus den benachbarten Amtsbezirken Koło, Dąbie, Sompolno, Kłodawa, Babiak und Komale Panskie sowie aus dem österreichischen Burgenland stammende Roma in Gaswagen ermordet wurden.

Kinder aus dem Ghetto Łódź warten auf ihre Deportation ins Vernichtungslager Kulmhof (September 1942)

Erster Kommandant des Vernichtungslagers war Herbert Lange, der im Wartheland und in Soldau bereits Gaswagen zur Ermordung Behinderter eingesetzt hatte. Er wurde im März 1942 von Hans Bothmann abgelöst. Alle leitenden Positionen wurden von den 15–20 Männern des „Sonderkommandos Kulmhof“ eingenommen. Die personelle Hoheit über die eingesetzten Sicherheits- und Ordnungspolizeibeamten lag zwar beim HSSPF (Haupt-SS- und Polizeiführer) Wilhelm Koppe, aber Gauleiter Arthur Greiser übertrug die Verantwortung der gesamten organisatorischen und finanziellen Abwicklung dieser „regionalen Endlösung“ zwei Beamten seiner Statthalterei, so dass dieser Massenmord durch „arbeitsteiliges Handeln“ von SS und Verwaltung zustande kam.

Zahlreiche Aussagen von Augenzeugen und Geständnisse von Tätern zeichnen ein detailreiches Bild des Geschehens.

Es verlief immer ähnlich: In der Kleinstadt Kolo (dtsch.: Warthbrücken) kamen die deportierten Juden mit der normalen Eisenbahn an, von der heute noch die Gleise existieren, in die Nähe des Herrenhauses in Chelmno gebracht. Die Männer des Sonderkommandos wurden unterstützt von 80 bis 100 Schutzpolizisten, die den bewachten Transport mit Lastkraftwagen in das „Schloss“ nach Kulmhof durchführten. Das letzte Stück wurden sie per Lastwagen transportiert und im abgeriegelten Hof ausgeladen. Im Schlosshof wurde den Ankömmlingen eine Rede gehalten, dass sie entlaust und gebadet würden, um dann zum Arbeitsdienst nach Deutschland zu kommen.

Anschließend betraten die Opfer das Innere des Schlosses. Sie mussten sich entkleiden und wurden zu einer Rampe getrieben, an deren Ende einer der drei vorhandenen Gaswagen stand. Nachdem man die Opfer unter Peitschenschlägen dort hineingetrieben hatte, verschloss man die Türen. Der Fahrer kroch unter das Fahrzeug, schloss den Verbindungsschlauch vom Auspuff ins Wageninnere an und startete den Benzinmotor. Durch die eindringenden Abgase erstickten die Menschen innerhalb von zehn Minuten. Anschließend fuhr der Fahrer die Leichen in einen Wald, wo sie zunächst in Massengräbern vergraben wurden.

Polnische Schätzungen sprachen von 300.000 Opfern; diese Zahl wird heute als überhöht eingeschätzt.

Kulmhof wurde hauptsächlich ab Dezember 1941 bis zum April 1943 genutzt. Ab September 1942 kamen meist nur noch kleinere Transporte an. Wie aus dem Korrherr-Bericht hervorgeht, wurden bis Ende 1942 durch die Lager im Warthegau 145.301 Juden „durchgeschleust“. Die Gesamtzahl der jüdischen Opfer wird mit 152.477 Opfern berechnet. Hinzuzurechnen sind über 4.000 Sinti und Roma sowie eine unbekannte Anzahl von russischen Kriegsgefangenen und weiterer nichtjüdischer Personen.

Im April 1943 wurde die Vernichtungsstätte aufgelöst. Das sogenannte „Schloss“ wurde gesprengt. Gauleiter Arthur Greiser bedankte sich bei den Mitgliedern des Sonderkommandos mit einem Geldgeschenk, lud sie zu einem Sonderurlaub auf sein Gut ein und lobte in einem Schreiben an Heinrich Himmler die Männer, die „treu und brav und in jeder Beziehung konsequent die ihnen übertragene schwere Pflicht erfüllt“ hätten.

Bei der Auflösung des Ghettos Litzmanstadt wurde die Vernichtungsstätte Kulmhof nochmals benutzt. Anfang April 1944 kamen die Männer des Sonderkommandos zurück. Im Wald wurden zwei Baracken aufgestellt. Die Gaswagen fuhren nur ein kurzes Stück zu den vorbereiteten Gruben, in denen sich zwei gemauerte Erdöfen befanden. Zwischen dem 23. Juni und 14. Juli 1944 wurden 7.176 Juden aus Litzmannstadt getötet. Danach wurden die Juden aus dem Ghetto ausschließlich nach Auschwitz deportiert.

Das Vernichtungslager Kulmhof wurde danach abgebaut, die Spuren verwischt und die letzten Arbeitshäftlinge in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1945 nach vergeblicher Gegenwehr im Speicher verbrannt.

Ab Sommer 1942 ließ das Sonderkommando die Leichen unmittelbar nach der Vergasung verbrennen – in zwei eigens konstruierten Feldkrematorien unterfreiem Himmel. Die Reste wurden in einer Knochen-mühle zermahlen, die Asche in den nahen Fluss geschüttet. Vom Dorf Kulmhof aus war der Rauch derFeuer gut zu sehen, der Geruch im Umkreis von 15 Kilometern wahrnehmbar. Eine Zeugin sagte aus: „Die ,Herren‘ aus Berlin hätten den Gestank an denaufgelassenen Gräbern nicht länger als fünf Minutenausgehalten.“ Die gewonnenen Erfahrungen wurden später bei der Sonderaktion 1005 zur Verwischung der Mordtaten genutzt. Rudolf Höß besichtigte im September 1942 die Leichenbeseitigung in Kulmhof.

Das Tun ließ sich jedoch vor den 300 Dorfbewohnern nicht verheimlichen. Am 19. Januar flüchtete der Arbeitshäftling Szlojme Fajner aus Izbica Kujawaka. Er informierte den Gemeinderabbiner der Ortschaft Grabow und gelangte im Januar 1942 ins Warschauer Ghetto. Im Februar 1942 protokollierte dasJüdische Untergrundarchiv seinen Bericht. Fajner wurde später im Vernichtungslager Belzec ermordet.

Das umlaufende Gerücht, die aus Litzmannstadt deportierten Juden würden durch Verbrennen umgebracht, vermerkte der Angehörige der Wehrmacht Wilm Hosenfeld in seinem Tagebuch und wurde sogar am 2. Juli 1942 in der „New York Times“ veröffentlicht. Der englische „Daily Telegraph“ veröffentlichte erstmals am 25. Juni 1942 für Chelmno (Kulmhof) eine Opferzahl von rund 40.000 Menschen durch Gas für den Zeitraum Dezember 1941 bis März 1942, bei einer Mordrate von 1.000 Menschen pro Tag.

Die beiden ehemaligen Gefangenen Shimon Srebnik (* 1930 in Polen; † 2006 in Nes Ziona, Israel) und MordechaïnPodchlebnik überlebten den Krieg. Sie berichteten u. a. im Film „Shoah“ von Claude Lanzmannüber das Vernichtungslager und die Täter.

Arthur Greiser wurde am 9. Juli 1946 in Posen zum Tode verurteilt und am 21. Juli 1946 erhängt. Der von ihm mit der Organisation des Vernichtungslagers beauftragte Ernst Kendzia wurde im Zuchthaus Waldheim am 4. November 1950 hingerichtet.

Andere Mitarbeiter der Statthalterei wurden in der Bundesrepublik nicht angeklagt, weil man die Verantwortung für das Vernichtungslager bei der Sicherheitspolizei vermutete. Der HSSPF Wilhelm Koppe lebte bis 1960 unter falschem Namen, wurde 1962 gegen eine Kautionszahlung freigelassen, später als verhandlungsunfähig erklärt und starb unbestraft im Jahre 1975.

Die beiden Lagerkommandanten, Herbert Lange und Hans Bothmann, konnten nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Paul Blobel war wegen anderer Taten hingerichtet worden. Als leitende Mitarbeiter der Staatspolizeistelle Litzmannstadt wurden Otto Bradfisch und sein Referent Günter Fuchs 1963 in Hannover zu hohen Haftstrafen verurteilt. Weitere Verfahren gegen frühere Polizeibeamte liefen in Polen und in der Bundesrepublik, wo 1962 eine Hauptverhandlung beim Landgericht Bonn gegen zwölf Beteiligte begann.

BILD: Kulmhof-a – Gedenkstein mit der Aufschrift Pamiętamy (poln. für „wir erinnern uns“ bzw. „wir gedenken“) (2005)

In der Nachkriegszeit wurden im ehemaligen Waldlager Monumente und Erinnerungstafeln angebracht. Später entstanden auf dem Hofgelände ein Museumsgebäude sowie Ausstellungsräume im Waldlager. Dennoch blieb das Vernichtungslager Kulmhof nach 1945 das weitgehend unbekannte unter den nationalsozialistischen Vernichtungslagern, obwohl dort das Grauen, Menschen „maschinell“ zu ermorden, begann.

von

Günter Schwarz – 09.12.2019

Bild: Kulmhof