Verwandlung des Heiligenscheins im Laufe der Jahrhunderte
Heiligenschein oder nicht? Auch in der Darstellung der Weihnachtsgeschichte durfte über Jahrhunderte der sogenannte Nimbus um das Jesuskind und die Heiligen im Bild nicht fehlen. Doch aus dem Strahlenkranz rund um die Köpfe von Heiligen wurde in der Entwicklung der Kunst eine gepunktete Linie – bis er überhaupt für lange Zeit verschwand.
Dass Gott in christlicher Vorstellung Mensch wurde, hatte für die Verbreitung der Glaubensinhalte weitreichende Konsequenzen. Auch wenn sich das Christentum als Schriftreligion definierte, wurde die Vermittlung des Glaubens über Bilder zur zentralen Stärke dieser Religion. Wie aber all jene darstellen, die besonders auserwählt waren? Eine der Bildlösungen war der Nimbus, der Heiligenschein, der seit dem frühen Mittelalter bis in die Neuzeit hinein zahlreiche Wandlungen erfahren hat.
Die Begebenheiten der Weihnachtsgeschichte, in der das Christuskind im Mittelpunkt steht, ist ausstaffiert mit einer Reihe von Auserwählten: Maria, Josef, den Weisen aus dem Morgenland. Sie alle werden in der katholischen Kirche als Heilige verehrt. Und die meisten christlichen Kirchen eint eine Art von Zentralensemble von Heiligen.
Nachdem man in der christlichen Kunst im frühen Mittelalter den ersten großen Bilderstreit und die Frage, ob der Sohn Gottes überhaupt bildlich darstellbar sei, überwunden hatte, mussten für die Begegnung mit dem Göttlichen überzeugende Bildlösungen gefunden werden. Alle Kontakte zwischen Mensch und dem Göttlichen standen ja unter dem Eindruck einer Mischung aus Scheu und Faszination. Im Evangelium von Lukas (2,25-32) wird etwa Simeon prophezeit, er müsse den Tod nicht sehen, ehe er „Christus den Herren“ gesehen habe. „Herr, meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitest hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel“, wird Simeon als Antwort zugeschrieben. Bildlich löste man diese Begegnung im frühen Mittelalter so, dass Simeon mit verdeckten Augen dem Christuskind entgegeneilte. Erst in der Frühen Neuzeit nimmt Simeon Jesus im Tempel in den Blick.
Die ehrfürchtige Scheu, so erinnert auch der Kunsthistoriker Norbert Wolf, sei kennzeichnend für viele Bildwerke, die die Begegnung mit dem Göttlichen inszenierten. Die Auserwählten sind „gotterfüllt“ – und gerade diese Erstbegegnungen will man gerne in Bildwerken illustrieren. Etwa im „Pariser Psalter“ aus dem 10. Jahrhundert, in dem Jesaja der Auftrag Gottes aus der göttlichen Hand in Strahlenform zuteil wird: Jahwe ist Geber aller Macht. Und der Prophet oder Heilige wird diese Teilhabe am Göttlichen in sein Leben tragen, so sieht es die Bildkonzeption vor.
Die Farbe Gold, der Goldgrund und auch der Heiligenschein sind in der mittelalterlichen Kunst zentrale Gestaltungselemente, um die Teilhabe am Göttlichen zum Ausdruck zu bringen. In der Vorstellung der Ostkirche wurden ja die ersten Ikonen nicht von Menschenhand gemalt, sondern wurden von Gott geschenkt. „Acheiropoieton“, also ohne das Zutun des Menschen, ist hier das Zauberwort in dieser sehr platonisch inspirierten Bildauffassung.
Wenn nun Heilige, wie es Paulus sagt, „die Herrlichkeit des Herren widerspiegeln“ (2 Kor. 3,18), dann wird diese Herrlichkeit durch das göttliche Licht, das diese Heiligen erfüllt, geprägt. Von Gott geht der Strahl der Gnade und der Erleuchtung aus. Der Goldgrund wird in der Malerei des frühen Mittelalters zum zentralen Ausdrucksmittel dieses von innen heraus leuchtenden göttlichen Lichts. Die kreisrunde Aureole findet sich ja bereits in antiken Darstellungen Apollons – aber auch der „Sol Invictus“, der unbesiegbare Sonnengott, dessen Fest ja historisch der Weihnachtstradition vorangeht, wird mit einem Strahlenkranz dargestellt.
Ab dem 9. Jahrhundert, nach Überwindung des Bilderstreits in der Ostkirche, werden im byzantinischen Bereich Goldgrund und Nimbus verpflichtend. Da die Malerei im Hochmittelalter vorwiegend flächig angeordnet ist, kann der runde Heiligenschein mit beinahe dogmatischer Strenge angewandt werden. Kein Heiligenbild oder Darstellung von biblischen Geschichten, wo Jesus oder die Heiligen nicht vom goldenen Nimbus umgeben sind.
Giotto wird im späten 13. Jahrhundert den Nimbus, den er von seinem Lehrer Cimabue als Vorlage empfing, leicht abwandeln. Erstmals versucht hier jemand dem Bildraum etwas Tiefe zu geben, weswegen der leuchtende Kreis bei Giotto zur Ellipse tendiert. Doch Giottos Vorbild macht in der italienischen Malerei des Mittelalters vorerst nicht Schule. Wenn, dann operiere man im 14. Jahrhundert mit unterschiedlichen Größen der Nimbus-Scheibe, wie die Malerin und Kunsthistorikerin Henriette „Henri“ Mendelsohn erinnert. Die unterschiedliche Größe beim Nimbus sollte nicht zuletzt auch Statusunterschiede zwischen den Dargestellten im Bildraum verdeutlichen.
Zeichen besonderer Würde konnte im ausgehenden Mittelalter auch ein sechseckiger Nimbus sein, um besondere Heiligen hervorzuheben. Was einst Schmuck war, entwickelte sich langsam als Kennzeichen der Persönlichkeit. Als man im Florenz des folgenden Jahrhunderts schließlich die Zentralperspektive entdeckt, wird es für den flächigen Heiligenschein schwer. Das Dreifaltigkeitsfresco von Masaccio in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz bietet eine beinahe pragmatische Lösung an: Über den Figuren schwebt eine elliptische Scheibe – die ja auch den Gesetzmäßigkeiten der Perspektive, die nun erstmals die Tiefe des Raumes vermisst, zu entsprechen hat.
Der toskanische Maler Fra Filippo geht im selben Jahrhundert noch weiter: Er macht aus der Scheibe einen verkürzten Reif. Florenz wurde in den Neuerungen rund um den Nimbus tonangebend. Deutlich wird: Mit der neuen Feingliedrigkeit der Malerei, die in die Gestaltung des Raums auch die Inszenierung von Lichtstimmungen entdeckt, wird der Nimbus zunehmend zum belastenden Fremdkörper, der wenig überzeugend im Bild schwebt.
Raffael wählt bei seiner berühmten „Madonna im Grünen“ (1505 oder 1506), die im Kunsthistorischen Museum in Wien zu bewundern ist, noch eine gepunktete Linie zur Markierung der Heiligkeit. Am stärksten strahlt der gepunktete Kranz über dem Jesuskind – dem farbigen Gewand seiner Mutter ist es hier geschuldet, dass die Heiligkeit von Jesus mehr strahlt als die von Maria und Johannes dem Täufer.
Wohin aber mit dem göttlichen Licht, wenn der Nimbus keinen überzeugenden Platz hat? Lösungen dafür hat die venezianische Malerei, in der der Nimbus zu einem Stück des leuchtenden Äthers mutiert. Der Nimbus wird zur Lichterscheinung, wie bei Correggio, die sich von der heiligen Figur als Licht bis in den Himmel weiten kann. Die übernatürliche Leuchtkraft dieser Nimbuskonzeptionen weist schon in das Barock, wo man, wie Mendelsohn schreibt, „das Außergewöhnliche um jeden Preis sucht“.
In der Kunst der Gegenwart hat der Heiligenschein zwar ausgedient. Was aber bleibt, ist die Auseinandersetzung mit der Tradition und Ikonographie. Mitunter wird sie Anlass für einen Umsturz. Denn in vielen zeitgenössischen gegenständlichen Bildwerken, die sich mit religiösen Bildthemen auseinandersetzen, wird eine Grenzauflösung deutlich: Die Auserwählten, das könnten wir alle sein.
So etwa in den Bildern des deutschen Malers Rene Schoemakers (zurzeit noch in Thalheim bei Wels im Museum Angerlehner zu sehen), in denen die Menschen aus seinem nächsten Umfeld an die Stelle der Heiligen getreten sind. In seinem mehrteiligen Bildwerk „Mater astricta“ („Die lakonische Mutter“) rückt die eigene Frau an die Stelle der Maria.
Geschaffen wurde diese Arbeit ursprünglich für eine Ausstellung im Städtischen Museum Flensburg, wo sie an die Stelle einer Schnitzmadonna aus dem 13. Jahrhundert rückte. Schoemakers zitiert dabei den Bildtypus der thronenden Madonna, die Jesus einen Apfel in die Hand legt, und Maria, so eine Linie der Interpretation, in die Rolle einer neuen Eva rückt.
Der Nimbus von Jesus verwandelt sich bei Schoemakers in ein Flammenbündel – das Kind erscheint dabei eng an den Körper seiner Mutter geklebt. Alle Heilsversprechen sind in diesem Bildwerk hinterfragt; die neue Maria trägt nicht nur den Apfel, sondern auch einen Pflasterstein in der Hand. Die Grenzüberschreitungen, mit denen diese Arbeit spielt, ist für Schoemakers offenkundig schon in den Bildkonzeptionen und in unseren kulturellen Bildspeichern als Keim angelegt. Der Nimbus wird hier enttarnt als eine Form der Anmaßung, sich auf Werte jenseits menschlicher Maßstäbe zu berufen.
Die Botschaft „Und ist Mensch geworden“, sie ist für die Auseinandersetzung der Gegewart kein Selbstverständnis mehr; eher eine Erzählung, die möglicherweise noch mal ganz neu aufgesetzt werden muss.
von
Günter Schwarz – 25.12.2019