
100 Jahre dänisch-deutsche Grenzziehung – „Nach 100 Jahren eher weniger als mehr Grenze nötig“
Der Historiker und Professor am Center für Grenzregionsforschung an der Syddansk Universitet (SDU / Süddänische Universität), Steen Bo Frandsen, sieht in Volksabstimmungen kein Prinzip zur Lösung nationaler Konflikte. Der Historiker erklärte auf der Neujahrstagung des Bunds Deutscher Nordschleswiger von Donnerstag, den 10. Januar, bis Sonntag, den 13. Januar 2020, in der Grenzakademie Sankelmark, dass für Slesvig (Schleswig) die Grenzziehung 1920 auch eine Katastrophe gewesen sei.

Steen Bo Frandsen betonte in seinem Vortrag über die dänische Sicht auf die Volksabstimmungen und die Grenzziehung 1920 in Slesvig, dass es 100 Jahre nach den Ereignissen eigentlich keinen Grund gebe, die Teilung des einstigen Herzogtums zu feiern.
„Die dänische Bezeichnung ‚Genforening‘ (Wiedervereinigung) ist für mich ein Begriff der Vergangenheit. Es wäre nützlich, etwas mehr über diese Grenze nachzudenken. Es gibt keinen Grund zu feiern, wie toll alles gewesen ist“, so der Wissenschaftler in der Akademie Sankelmark.
„Nach 100 Jahren brauchen wir eher weniger als mehr Grenze“, so Frandsen und empfahl, die Bildung einer gemeinsamen deutsch-dänischen Grenzregion voranzutreiben. „Für Slesvig war die Grenzziehung 1920 auch eine Katastrophe“, so der Historiker und fügte hinzu, dass Slesvig an Vielfältigkeit seit der Teilung verloren habe, was ein trauriges Ergebnis sei.
Frandsen hatte in seinem Vortrag die Geschichte Slesvigs als Durchgangsregion beschrieben, in der ungeachtet historischer Besitzansprüche und staatsrechtlicher Voraussetzungen eine gemischte Kultur und eine sprachliche Vielfalt herrschte. Mit dem Aufkommen des Nationalismus in Dänemark und Deutschland habe man von oben verlangt, dass sich die Menschen in Slesvig deutsch oder dänisch fühlen sollten.
„Die Eliten verlangten einfache Konstrukte“, sagte er und ging auf die Kriege 1848-1850 und 1864 ein. „Im Ersten Schleswigschen Krieg haben die Dänen gewonnen, obwohl es auch eine halbe Niederlage war“, so Frandsen und berichtete, dass die Gemälde, die den Sieg über die aufständischen Schleswig-Holsteiner feierten, in schönsten Farben gestaltet wurden. Der Historiker meinte, dass die Dänen bereits damals Slesvig hätten teilen können, mit einer Grenze südlich von Flensburg.
Der Zweite Schleswigsche Krieg gegen Preußen und Österreich brachte eine Niederlage für Dänemark. „Die Malereien dazu sind in düsteren Farben“, so Frandsen und erläuterte die von Dänemark vergebene Chance, nach dem Waffenstillstand nach der Niederlage in Dybbøl einer Teilung des Landes auf der Linie der 1920 gezogenen Grenze zuzustimmen.
„Bismarck wollte eigentlich keine Minderheiten in seinem Land“, so der Historiker, doch Dänemark habe nach Maximalforderungen ganz Slesvig verloren und Preußen mehr erhalten, als nützlich war. Das habe sich bei der Abstimmung 1920 nach dem von Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg gezeigt. Dabei hätten äußere Mächte letztlich auch den Verlauf der neuen Grenze nach der Vorgabe des dänischen Historikers H. V. Clausen bestimmt.
„Es war eigentlich eine traurige Ecke, wo die Linie verlief“, so Frandsen. Die mit dieser Linie verknüpfte Politik H. P. Hanssens, man wolle nichts für Dänemark gewinnen, wo man nicht dänisch ist, sei letztlich eine Erfolgsgeschichte geworden. „Eine von nationalistischen Kräften in Dänemark geforderte südlichere Grenze war ohne echte Chance“, so der Wissenschaftler.
„Es gab damals eigentlich keinen Grund, die Grenze im Bereich Tønder und Hoyer zu verändern“, so Frandsen, doch eine Korrektur wegen der großen deutschen Mehrheiten in den beiden Orten wurde auch vor dem Hintergrund abgelehnt, dass die Dänen selbst befanden, man habe sich bei der Grenzziehung mäßig verhalten, denn immerhin hätten die Preußen das dänische Slesvig ja 1864 „geklaut“.
Der Referent stellte auch fest, dass es offenbar unmöglich gewesen ist, in Slesvig eigenständig die Grenzfrage zu klären. 100 Jahre nach der Teilung sei es aber an der Zeit, im gesamten Slesvig zu einer Normalität zu finden.
In der Fragerunde nach seinem Vortrag erklärte Frandsen auf eine Frage von Dirk Sina, wie Dänemark auf die Gründung des Landes Schleswig-Holstein 1946 nach dem Zweiten Weltkrieg reagiert habe, dass Dänemark gegenüber der britischen Besatzungsmacht unterstrichen hat, dass man über die Namensgebung unglücklich war.
Auf eine Frage Hans Heinrich Hansens erklärte Frandsen, dass das heutige deutsch-dänische Grenzland in den vergangenen 100 Jahren ganz bestimmt keine Vorbildregion gewesen sei. „Auch heute ist nicht alles gut, aber wir streiten uns nicht mehr. Und es hätte schlimmer verlaufen können“, fügte er hinzu. Heute sei der Glanz von Volksabstimmungen zur Lösung von Grenzkonflikten verblasst, fuhr der Historiker fort, aber „in Slesvig war es eine für die damalige Zeit notwendige Lösung, die sich auch gehalten hat“.
Interessant sei ja auch, dass die Entspannung durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen nicht aus der Region gekommen sei, sondern durch die internationale Komponente, dass die Bundesrepublik Deutschland der NATO beitreten wollte. Die Volksabstimmungen seien ein Mittel, wenn alle anderen Möglichkeiten nicht geklappt hätten.
Der Historiker verriet, dass das Thema „Genforening“ unter Wissenschaftlern heute ein „totes Pferd“ sei. „Heute geht es darum, eine andere Geschichte zu erzählen. Vor allem, nicht nur über den Konflikt um Slesvig, sondern über die Zeiten, „in denen man es dort gut zusammen gehabt“ hat. Mit einem Augenzwinkern meinte er zur Darstellung des Themas in der Gegenwart: „Willst du ein Buch verkaufen, dann muss es von Krieg handeln.“ Zu einem Einwurf von Frank Lubowitz, dass im Jahre 2020 ein zu rosarotes Bild von der Grenze gezeichnet werde und die geschichtliche Wahrhaftigkeit auf der Strecke bleibe, erklärte Frandsen: „Sollen wir heute altes Unrecht gegeneinander aufrechnen?“
Und er erinnerte an brennende Gegenwartsfragen wie beispielsweise den Brexit Großbritanniens. Er empfahl den Slesvigern, nicht gleich regionalistische Bewegungen zu starten, sondern sich zusammenzuraufen, denn die Region sei ja durch die langen Konflikte auch „unter die Räder geraten“.
Quelle: Bund Deutscher Nordschleswiger
überarbeitet von
Günter Schwarz – 29.01.2020