Dänen entdecken architektonisches Erbe der Preußen
Mit zwei Volksabstimmungen am 10. Februar und am 14. März 1920 wurde 1920 am 15. Juni die jetzige deutsch-dänische Grenze neu gezogen. Der nördliche Teil des alten hertugdømme Slesvig (Herzogtums SchleswigI von Flensburg bis zur Kongså (Königsau) war danach wieder dänisch. Die Preußen mussten nach 56 Jahren aus dem nördlichen Teil Slesvigs abziehen.
Die preußischen Denkmäler verschwanden schnell – der Bismarckturm mit der Bismark-Statue vom Knivsbjerg, mit 97 Metern die höchste Erhebung Sønderjyllands, etwa war sogar schon 1919 vorsorglich nach Süden gebracht worden. Das Standbild wurde am 13.05.1919 wegen der befürchteten Abstimmungsniederlage gegen Dänemark abmontiert. Die Bismarck-Statue wurde per Eisenbahn zuerst nach Rendsburg transportiert, zuvor wurde der Kopf abgesägt.
In der Viehmarkthalle in Rendsburg wurde die Statue unter Heuhaufen versteckt. Durch Entzünden eines Heuhaufens verlor der Kopf seine Patina. Eine Firma aus Kiel schweißte den Kopf wieder an die Statue. Das Standbild wurde danach zunächst beim Bauern Peter Gosch in Ascheffel-Vogelsang zwischengelagert. Bezüglich der weiteren Nutzung des Denkmals entbrannte eine Diskussion, da einerseits die Stadt Rendsburg und andererseits die Scheersberg-Gesellschaft an der Statue interessiert waren. Anfang 1923 wurde das Standbild auf die Koppel des Gastwirts Thomsen in Quern gebracht, um es dann auf dem Aschberg in den Hüttener Bergen wieder aufzustellen.
Doch neben den Denkmälern an Standbildern blieb noch das architektonische Erbe. Und Preußen hatte in den 56 Jahren in Sønderjylland bzw. Nordschleswig viel gebaut und sehr viel davon im deutschen, meist historisierendem Stil. Dieses Erbe war unter den Dänen lange sehr unbeliebt, blieb aber weitgehend erhalten. Wer heute preußische Architektur im Norden bis zum Ersten Weltkrieg sehen will, fährt am Besten über die Grenze nach Sønderjylland – also Nordschleswig – nach Sønderborg.
Sønderborg war lange die kleinste Stadt in Sønderjylland. Dann kamen die Preußen. Aus dem verträumten Ort am Eingang des Alsensunds wurde eine Garnisonsstadt. 1908 war deren Wahrzeichen vollendet: Wer am alten Sonderburger Schloss vorbei in den Hafen einfuhr, sah groß, rot und mit trutzigen Türmchen nun über der Einfahrt zum Sund oben über dem Hafen die die zwei Blöcke der Kaserne thronen. Die Offiziere mussten auch wohnen. Deshalb reihten sich vor der Kaserne Wohnhäuser und Villen für die Soldaten. Ihre Kinder gingen in die neue Realschule. Wer mit der Bahn anreiste, tat das auf einem – recht dänisch wirkenden – preußischen Bahnhof. Mitten in der Stadt wurde im sogenannten hannoverschen Stil protzig ein Bankgebäude aus grob behauenem Sandstein gesetzt. Soldaten trinken Bier – also entstand auch eine deutsche Brauerei, Preußen ließ Arbeiterhäuser und einen Kindergarten bauen. Auch ein Deutsche Schlachter eröffneten in Sønderborg. 1920, bei der Genforening (Wiedervereinigung) Dänemarks schließlich war Sønderborg die größte unter den sønderjysk Städten – und ist es bis heute geblieben.
Die Kaserne über dem Alsensund hat in den vergangenen Jahren viel von ihrer Bedrohlichkeit verloren. Unten am Wasser entstanden auf dem Südufer die Hochhäuser des Alsions der Syddansk Universitet, vor der Kaserne auf der Nordseite wuchs ein schwarzes Hochhaus vor und über die Backsteinblöcke. Doch Sønderborg ist bis heute die am stärksten von preußischer Architektur geprägte dänische Stadt.
Auch das alte Landratsamt in Abenraa steht – ohne Preußenadler – noch und auch Tønder hat noch Zeugnisse in großer Zahl. Hier steht auch das 1908 vollendete Landratsamt – das stilistisch im Gegensatz zu den meist historisierend überladenen preußischen Amts- und Funktionsbauten steht. Es gilt als die Initialzündung für die Baupflegebewegung. Sie griff auf Material aus der Region zurück und schuf, inspiriert durch die traditionelle Baukultur, modern funktionierende Bauten.
Mit den Preußen kam auch der gelbe Ziegel nach Sønderjylland, oft mit Bändern und Ornamenten in Rotstein gegliedert. Der preußischen Zeit haben die Dänen auch einige Zeugnisse des Jugendstils zu verdanken.
Die preußischen Bauten machen den Süden Dänemarks zu einer der architektonisch reichsten Gegenden des Landes. Die Dänen haben diese Häuser aber lange einfach nur ertragen und nicht geliebt. Den Schatz gehoben hat vor allem Peter Dragsbo. Der ehemalige Leiter des Museums „Sønderborg Slot“. Unter dem programmatischen Titel „En fælles kulturarv“ (Ein gemeinsames Kulturerbe) brachte er 2011 seine Arbeit über das Bauen in Sønderjylland in der Preußenzeit heraus.
Auch im Museum im „Sønderborg Slot“ wurde diese Zeit in der Dauerausstellung thematisiert. Sein Nachfolger Carsten Porskrop Rasmussen ist sicher: Damit wurde ein Umdenken angestoßen. Heute wird der bauliche Nachlass der Preußen vor allem als ein kultureller Reichtum angesehen. Auch Rasmussens Kollege vom Deutschen Museum Nordschleswig in Sønderborg, Hauke Grella, hat in den vergangenen Jahren den Wandel und einen neuen Stolz erlebt.
Südlich der Grenze sind viele Gebäude aus der preußischen Zeit verschwunden. In Städten wie Kiel wurden sie zerbombt, anderswo abgerissen. In Sønderjylland sind keine Bomben gefallen. Auch war vieles, was stand, zwar vielleicht nicht nach dem Geschmack der Menschen dort und wurde zum Teil als unpopuläre Hinterlassenschaften der preußischen Zeit gesehen. Doch die Bauten wurden weiter genutzt, weil sie solide waren und ihren Zweck erfüllten.
Als im Frühjahr 1920 die deutschen Soldaten abzogen, blieben die Kasernen in Sønderborg und Harderslev zurück. Die Reichsflagge wurde eingezogen, der Danebrog gesetzt, und es zogen Soldaten mit anderen Uniformen in die Gebäude ein. Dieser Pragmatismus hat nördlich der 1920er Grenze dafür gesorgt, dass dort bis heute Zeugnisse preußischer Architektur in einer Dichte und Qualität erhalten sind, die es auf der deutschen Seite südlich der Grenze im Norden nicht mehr gibt.
von
Günter Schwarz – 08.03.2020