(Rønne) – Heute ist es 75 Jahre her, dass Rønne und Nexø von den Russen zum 2. Mal bombardiert wurden. Carl Aage Reuss, der damals 9 Jahre alt war, hält es für wichtig, dass die Geschichte nicht vergessen wird. Während Europa das Ende des von den deutschen Nazis begonnenen 2. Weltkrieges feierte, fielen auf der dänischen Insel die letzten Bomben des Krieges, der ca 60 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte – Bornholm beklagte 10 Tote während der beiden Luftsangriffe.

Am Montag, den 7. Mai 1945, stand der 9-jährige Carl Aage Reuss mit seinen Freunden auf dem Schulhof in Rø. Es war ein Tag, den er nie vergessen wird, ebenso wie den Tag danach, als die russischen Bomber wiederkamen.

„Wir haben gesehen, wie die Maschinen über Ronne hereinkamen und die Stadt bombardierten. Das ist das erste, woran ich mich an diesen Tagen erinnere“, erzählt Carl Aage Reuss.

Außerdem erinnert er sich, wie sein Vater sich einen Lastwagen geliehen hatte, um die Großmutter aus dem Krankenhaus abzuholen. Als er nach Hause zurückkehrte, hatte er auch eine andere Patientin mitgebracht – eine Frau, die gerade geboren hatte. Er hatte sie samt Baby neben der Großmutter auf die Ladefläche des LKW gelegt. Am Tag danach, dem 8. Mai, gab es einen erneuten Angriff der Russen und abermals fielen Bomben.

„Sie bombardierten einige große Transportschiffe vor Christiansø. Als sie bombardiert wurden, gaben die Fenster zu Hause im Wohnzimmer nach und zersprangen. Wir hatten ein großes Wohnzimmerfenster, und es war so gewaltig, dass es sich hin und her bewegte, bevor es zersprang“, sagt der heutige 84-jährige pensionierte Luftkapitän.

Während der Rest Dänemarks froh war, dass die Deutschen weg waren, konnten sich die Bornholmer auf eine neue Besatzungsmacht auf der Insel „freuen“. Bornholm wurde vergessen.

„Sie feierten, dass sie im Rest Dänemarks den Frieden zurückgewonnen hatten, und dann wurde Bornholm am 7. und 8. Mai von russsischen Bombern bombardiert. Es war gewalttätig“, sagt Carl Aage Reuss, der glaubt, dass die Geschichte vom Kriegsende immer noch im heutigen Bornholm steckt: „Wir nörgeln gern über den Rest Dänemarks, weil sie uns immer wie ein Schwein behandelt haben. Bornholm war nie ein fester Bestandteil Dänemarks im Bewusstsein der Dänen. Sie vergessen uns.“

Carl Aage Reuss war 9 Jahre alt, als die russischen Bombenangriffe stattfanden.

Ursache der Bombadierung der Insel war der deutsche Kommandant auf Bornholm, Kapitän zur See Gerhard von Kamptz, der sich als „strammer Nazi“ weigerte, vor den Russen zu kapitulieren. Diese hatten schon die pommersche Küste bis Rügen erobert, so dass Bornholm praktisch im Hinterland der Front lag. Aus diesem Grund wurden das noch von den Deutschen besetzte Rønne und Nexø am 7. und 8. Mai 1945 von den Russen bombardiert.

Carl Aage Reuss hat eine Episode erlebt, in der er in Hamburg am Stand des dänischen Tourismusverbandes, dem heutigen „VisitDenmark“ war. Er sah mehrere vom dänischen Staat gesponserte Karten, auf denen Bornholm falsch lag oder nicht dargestellt wurde. Er glaubt, dass Bornholm oft vergessen wird, und nur indem man sich an die Geschichte erinnert, kann man versuchen, die Zukunft besser zu gestalten.

„Die Tatsache, dass Bornholm vergessen wird – oder andere vergessen die Insel weit im Osten des Königreichs – darf nicht wieder vorkommen. Sie müssen vorsichtig sein, wenn Sie etwas tun, an dem alle beteiligt sind. Das Kriegsende ist ein Paradebeispiel dafür, dass sie es nicht getan haben“, sagt Carl Aage Reuss.

Kapitän zur See Gerhard von Kamptz

Anmerkung: Kapitän zur See Gerhard von Kamptz (* 27.12.1902 in Schroda / Posen, † 16.05 1998 in Kiel) verbrachte fast 9 Jahre in sowjetischer Gefangenschaft. Am 1. Januar 1954 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen und kehrte nach Westdeutschland zurück, wo er sich in Kiel niederließ. Hier lebte er bis zu seinem Tod 1998 im Alter von 95 Jahren. Nach dem Krieg besuchte er Bornholm zweimal, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben. Die Zeitung „Bornholms Tidende“ gelang es 1982 dennoch, bei einem seiner Besuche der Insel ein Interview mit ihm zu führen.

von

Günter Schwarz – 08.05.2020