(Bårse) – Die 99-jährige Emery Lou Thomsen, eine seit fast 60 Jahren in Dänemark lebende schwarze Amerikanerin, glaubt, dass die Rechte, für die sie ihr ganzes Leben lang gekämpft hat, in Reichweite sind.

In Bårse in Sydsjælland (Südseeland) wird der Rollstuhl vor dem Fernseher gerollt. Der amerikanische Nachrichtensender CNN ist das einzige Programm, das sie sich ansieht. Für die 99-jährige Emery Lou Thomsen sind die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen wichtiger als ihr 100. Geburtstag. „Ich bin so sehr gegen Trump“, merkt Emery Lou Thomsen an.

Sobald sie kann, sendet sie ihre Stimme per Briefwahl ab, aber es stört sie, dass sie im Vorwahlkampf nicht mehr so mitmachen kann wie früher. „Ich denke, es gibt einige Dinge in den USA, die geändert werden müssen. Ich kann es überhaupt nicht abwarten. Ich möchte ein Teil von dem sein, was ich früher war“, sagt sie.

In der Wohnung in Bårse wird der amerikanische Nachrichtensender CNN nicht ausgeschaltet.

1920 wurde die Frau im amerikanischen Südstaat Atlanta, Georgia, in eine Zeit hineingeboren, in der es eine scharfe Trennung zwischen Weißen und Schwarzen gab. „Ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen meinen Vater gefragt habe, ob Weiße besser sind als Schwarze. Mein Vater antwortete: ,Nein, kein Mensch ist besser als andere’“, sagt Emery Lou Thomsen.

Sie wollte sich nicht in Einteilungen wiederfinden und rebellierte von diesem Moment an gegen die Trennung von Menschen. Im Kino, wo Schwarze auf den Balkon verwiesen wurden, setzte sie sich zwischen allen Weißen unten ins Parkett, und in einem Restaurant, in dem nur Weiße bedient wurden, setzte sie sich hin und las anderthalb Stunden in einem Buch.

Heute, am 28. August, ist es 57 Jahre her, dass Martin Luther King seine berühmte „ I have a dream“-Rede in Washington gehalten hat. Auf dem Smartphone, das von einer blauen Plastikbox gehalten wird, wird die Rede Martin Luther Kings gestartet. Die Bilder aus dieser Zeit fließen durch sie und mit zitternder Hand muss sie die Feuchtigkeit unter ihrer Brille wegwischen, und sie gesteht: „Ich erinnere mich. Ich hatte Tränen in den Augen.“

Martin Luther Kings Rede lässt Emery Lou Thomsen an eine Zeit zurückdenken, in der es in den USA eine scharfe Trennung zwischen Weiß und Schwarz gab.

Unter der Führung von Martin Luther King marschierte sie durch die USA und kämpfte für die Rechte der Schwarzen. Sie nahm an mehreren Märschen und Demonstrationen teil, aber 1960 war es vorbei. Sie reiste in den Urlaub nach Dänemark, aber es stellte sich schnell heraus, dass es mehr als ein kurzer Besuch werden sollte. So konnte sie die berühmte Rede Martin Luther Kings von 1963 nur aus der Ferne hören.

„Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Emery Lou Thomsen. In Dänemark traf sie Chris und entdeckte die Liebe. Eine Liebe, die so stark war, dass Sydsjælland und ein Haus ihr neues Zuhause wurde, in dem CNN nie ausgeschaltet wird.

Die Bewegung Black Lives Matter stürmt vorwärts. Sie sieht und hört alles. Emery Lou Thomsen freut sich, dass die Rechte, für die sie einst in den USA eingetreten ist und gekämpft hat, in Reichweite geraten.

Martin Luther Kings Rede wurde in ihrem Smartphone gefunden.

Und zuletzt, als der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidaten vorstellte, war ihre Freude groß. „Es ist gut, dass sie eine Frau ist, und es ist auch gut, dass sie schwarz ist“, sagt sie.

von

Günter Schwarz – 28.08.2020

Foto: Emery Lou Thomsen