„Abfälle aus Kernkraftwerken? Nein danke“, sagen Bürger des Grenzlandes
(Harrislee / Frøslev) – Ein Teil der 50.000 Tonnen Abfälle aus geschlossenen Kernkraftwerken in Schleswig-Holstein könnte nahe der dänisch-deutschen Grenze in Harrislee deponiert werden. Die Aussicht, den Müll in den „Hinterhof“ unmittelbar an die Grenze zu bringen, beunruhigt die Bürger im Grenzland. Auch die Bürger im südlichen Teil der Kommune Aabenraa befürchten derzeit, dass sie Bauabfälle aus Kernkraftwerken in ihrem Hinterhof erhalten.
Der Umweltminister in Schleswig-Holstein, Jan Philipp Albrechthat; erklärt, dass vier Mülldeponien in Schleswig-Holstein Bauabfälle von den drei Kernkraftwerken in der Region aufnehmen müssen. Deutschland stellt seit 2011 die Kernkraftwerke außer Betrieb und im Bundesland Schleswig-Holstein sollen die drei Kernkraftwerke in Krümmel, Brunsbüttel und Brokdorf abgerissen werden. Zwei der Werke sind bereits abgeschaltet, das Werk in Brokdorf soll nächstes Jahr geschlossen werden.
Es sind 50.000 Tonnen schwach radioaktiver Bauschutt mit sehr schwacher Strahlung. Trotzdem muss der Abfall separat behandelt werden, und dazu wurden vier Mülldeponien in Schleswig-Holstein ausgewiesen, um die Abfälle aufzunehmen zu. Eine der Deponien befindet sich in Harrislee, direkt an der dänisch-deutschen Grenze – 800 Meter von dem Wohngebiet in Frøslev entfernt.

Und die Aussicht, den Müll sozusagen im Hinterhof Deutschlands deponieren zu können, macht den Bürgern von Frøslev nicht gerade Freude. „Es ist nicht sehr beunruhigend, den Müll so nahe bei sich zu haben. Eine Sache ist die Umweltverschmutzung, sowohl was jetzt ist als auch was in Zukunft kommen könnte. Aber auch was passiert mit den Immobilienpreisen in der Gegend? Würden Sie ein Haus einen Kilometer von Atommüll entfernt kaufen?“, Sagt Allan Greve, der mit seiner Familie in Frøslev lebt.

Er befürchtet sowohl, was der Abfall für die Gesundheit bedeuten könnte, als auch was mit dem Gebiet passieren wird, wenn man wegen des Abfalls keine Häuser mehr verkaufen kann.
Wie Allan Greve ist auch der Bürgermeister der Kommune Aabenraa, Thomas Andresen von der Partei Venstre (Rechtsliberale Partei), besorgt über die Konsequenzen, die der strahlende Bauschutt für die Kommune haben könnte. „Wir wollen eine enge Zusammenarbeit mit Harrislee. Aber auch, um es zu entmystifizieren, denn natürlich wollen wir keinen schlechten Ruf wegen des Atommülls bekommen, wenn es sich im Grunde genommen um Bauschutt handelt“, sagt Thomas Andresen und fügt hinzu: „Ich befürchte, dass wir nicht die Wahrheit gesagt bekommen und dass es schlechter wird, als es dargestellt ist.“
Der Abfall kommt nicht direkt aus den Reaktoren. Stattdessen soll es Inventar und andere Bauabfälle aus den Reaktoren sein. Aber Allan Greve ist diesbezüglich skeptisch. „Wenn wir erst diese Art von Abfall haben, was wird dann in ein oder zwei Jahren ohne weitere Genehmigungen angeliefert? Das wissen wir nicht wirklich“, sagt Allan Greve.
Der Bürgermeister der Gemeinde Aabenraa, Thomas Andresen teilt ebenfalls die Besorgnis von Allan Greve. „Wir haben gewusst, dass diese Werke rückgebaut werden sollen. Während des gesamten Prozesses wurde uns mitgeteilt, dass es sich um ganz normale Bauabfälle handelt. Wir sprechen nicht über Atommüll, aber ich teile voll und ganz die Besorgnis der Bürger“, sagt Thomas Andresen, der darauf achten wird, dass gefährliche Abfälle nicht plötzlich auf der Mülldeponie in Harrislee ankommen.
„Jetzt fragen wir in Kiel an, ob in dem Fall etwas Neues passiert ist. Wenn ja, dann glauben wir, dass wir im Rahmen des ESPOO-Übereinkommens konsultiert werden müssen. Wir werden dem nachgehen, und wir werden auch nachverfolgen, ob es plötzlich etwas gibt, das umweltschädlicher ist als das, was genehmigt wurde“, sagt Thomas Andresen.
Das ESPOO-Übereinkommen befasst sich mit grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen. Wenn Projekte grenzüberschreitend Umweltschäden verursachen können, tritt das Übereinkommen in Kraft.
Zunächst hatten sowohl der Gemeinderat als auch der Eigentümer der Deponiefirma Balzersen in Harrislee zusammen mit den Gemeinderäten, in denen sich die anderen drei Deponien befinden, die Annahme der Abfälle abgelehnt. Eine Ablehnung, die Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht von den Grünen zunächst akzeptierte. Er bestritt, dass er die Gebiete zwingen würde, die Abfälle anzunehmen.
Anfang dieser Woche berichteten deutsche Medien, der Umweltminister habe sich durchgesetzt und beschlossen, die Abfälle notfalls gewaltsam auf den vier Deponien zu entsorgen. Die Deponie in Lübeck soll der erste Ort sein, an dem die Abfälle deponiert werden sollen. Somit besteht auch für Harrislee immer noch das Risiko, den Abfall annehmen zu müssen.
Der Gemeinderat in Harrislee fühlt sich vom Umweltminister in Schleswig-Holstein bei der Entscheidung, wo die Abfälle landen, übergangen. „Man hätte uns informieren und uns einige alternative Möglichkeiten aufzeigen sollen. 2016 haben wir mit dem Landtag in Schleswig-Holstein, über die Möglichkeit der Lagerung der Abfälle gesprochen, und sie haben keine alternativen Optionen gefunden“, sagt der Vorsitzende des Gemeinderats in Harrislee, Heinz Petersen vom Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die dänische Minderheitspartei in Sydslesvig.
Die Partei schlägt stattdessen vor, die Abfälle in den Gemeinden zu lagern, in denen die Kernkraftwerke stehen oder gestanden haben. Auch im Landtag in Kiel wurde dagegen protestiert, die Abfälle direkt an der dänisch-deutschen Grenze zu platzieren.
„Ich möchte den Umweltminister Jan Phillip Albrecht nachdrücklich davor warnen, radioaktive Bauschutt einen Steinwurf vor Dänemarks Grenze abzuladen. Seit über 60 Jahren lehnen die Dänen die Kernkraft konsequent ab. Albrecht riskiert einen ernsthaften Verstoß gegen das gute dänisch-deutsche Verhältnis, das wir seit Jahrzehnten im Grenzland aufgebaut haben“, sagt Christian Dirschauser, SSW-Sprecher für Umweltpolitik im Landtag.
In Frøslev hofft Allan Greve darauf, dass noch was passieren wird, bevor der Müll auf der Mülldeponie in Harrislee landet. „Vor allem würde ich hoffen, dass die Pläne, diese Art von Abfall in meinem Hinterhof zu deponieren, fallengelassen wird. Alternativ würde ich hoffen, dass es einen Dialog gibt, an dem alle Beteiligten auf beiden Seiten der Grenze beteiligt sein werden“, sagt Allan Greve.
von
Günter Schwarz – 02.10.2020
Fotos: Archivbilder