(Stockholm) – Der schwedische Sonderweg in der Coronakrise, der auf die Immunität möglichst großer Teile der Bevölkerung setzt, ist umstritten. Anders als im Rest Europas blieben weite Teile des öffentlichen Lebens unangetastet. Nun dürften neue Zahlen der schwedischen Statistikbehörden den Kritikern des Sonderwegs Auftrieb geben.

Vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie hat Schweden im November die höchste Zahl an Todesfällen binnen eines Monats seit der Spanischen Grippe vor mehr als 100 Jahren verzeichnet. Während die Corona-Zahlen stark zugenommen haben, starben im November 2020 insgesamt 10.458 Menschen in dem EU-Land mit einem viel beachteten Corona-Sonderweg. Die Übersterblichkeit liegt somit etwa zehn Prozent über der durchschnittlichen Sterberate der Jahre 2015 bis 2019, teilte die schwedische Statistikbehörde (SCB) am Montag mit.

„Das ist die höchste gemessene Anzahl an Todesfällen, die im Monat November seit 1918, dem Jahr, in dem die Spanische Grippe ausbrach, verzeichnet wurde“, erklärte der SCB-Statistiker Tomas Johansson. Damals seien im November mit 16.600 mehr als doppelt so viele Tote registriert worden. Zudem hatte Schweden vor rund hundert Jahren deutlich weniger Einwohnerinnen und Einwohner. Heute hat das Land eine Bevökerung von rund 10,3 Millionen. Der Höchststand seit 2000 stamme aus dem Jahr 2002, als 7.720 Todesfälle registriert worden seien.

Die zweite Welle der Coronavirus-Pandemie führte auch in Schweden zu einem sprunghaften Anstieg der Neuinfektionen. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden wurden zu Wochenbeginn 2.406 Menschen mit einer CoV-Infektion im Krankenhaus behandelt – ein Höchststand seit April. Allerdings befanden sich nur rund zehn Prozent der Patienten auf der Intensivstation, im April waren es 22 Prozent. In relativen Zahlen starben im November 2020 rund 77,9 Personen pro 100.000 Einwohnern. Im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße war dies der höchste Wert seit November 2010.

Die Übersterblichkeit ist nach Angaben der schwedischen Statistiker bisher nur auf die Altersgruppe 65 Jahre und älter begrenzt. In der Altersgruppe 0 bis 64 Jahre seien im November dagegen etwas weniger Menschen gestorben als im Durchschnitt der vergangenen fünf November.

Die Behörde wies darauf hin, dass es sich um vorläufige Zahlen handelt, die sich im Nachhinein noch verändern könnten. Sie spricht von Übersterblichkeit, wenn die Zahl der Sterbefälle über dem Schnitt der Jahre 2015 bis 2019 liegt. Befindet sie sich darunter, wird es als Untersterblichkeit bezeichnet.

Schweden geht seit Beginn der Covid-19-Pandemie einen weniger restriktiven Weg als die meisten anderen europäischen Länder. Kritiker warfen den Behörden deshalb vor, mit ihrer Strategie Menschenleben zu gefährden. Dennoch verzichtete die Regierung lange auf das Verhängen von Einschränkungen und sprach stattdessen lediglich Empfehlungen für die Bürger aus.

Als Reaktion auf die steigenden Neuinfektionen verhängte die Regierung Mitte November erstmals verbindliche Einschränkungen, unter anderem für Treffen in der Öffentlichkeit und den Verkauf von Alkohol. Treffen in privaten Wohnungen werden durch die Regelung jedoch nicht eingeschränkt und auch eine Maskenpflicht gibt es nicht. Die Schulen für Kinder unter 16 Jahren blieben offen ebenso wie Cafés, Bars, Restaurants und Geschäfte. Die Menschen sind lediglich aufgefordert, in Eigenverantwortung die Abstandsregelungen zu respektieren.

Der schwedische Sonderweg ist nicht unumstritten, denn die Zahl der Corona-Toten übersteigt die anderer skandinavischer Länder, die strikte Ausgangsbeschränkungen verhängt hatten. Bis gestern verzeichnete Schweden 3.698 Tote im Zusammenhang mit der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Lungenkrankheit COVID-19. Die Zahl der Infektionen wurde mit 30.377 angegeben.

von

Günter Schwarz – 15.12.2020

Foto: Archivbild