Island will dänisches Grundlov durch eigene Verfassung ersetzen
Island mit seinen gut 350.000 Einwohnerinnen und Einwohner rühmt sich, eines der ältesten Parlamente der Welt zu haben. Island lebt und hat eine lebendige Demokratie. Doch eine eigene Verfassung fehlt dem Land bis heute.
Vor gut zehn Jahren, als das Land wegen der Finanzkrise fast bankrott ging, kam es zu einer kleinen Revolution und einem Generationenwechsel innerhalb der führenden politischen Parteien. Ein Verfassungsrat wurde gewählt, der eine neue isländische Verfassung entwerfen sollte – als Ersatz für das noch aus dänischen Kolonialzeiten stammende Grundlov (Grundgesetz). Denn als Island 1944 während des 2. Weltkrieges die Unabhängigkeit von Dänemarks Krone erlangte, wurde die Verfassung lediglich leicht angepasst, erzählt Thorkell Helgason, der 2011 Mitglied dieses Verfassungsrats war.
„Schon 1944 waren sich alle einig, dass wir eine neue Verfassung brauchen. Aber dann wurde nur die Klausel über den König geändert, also der Begriff König wurde durch das Wort Präsident ersetzt. Das war die einzige Änderung damals“, sagt er. Das heisst, der Präsident konnte regieren wie ein König.
2011 verabschiedete der Verfassungsrat eine ganz neue Verfassung, welche diese Kompetenzen massiv beschneiden wollte – ein Vorschlag, der ein Jahr später auch von den Isländerinnen und Isländern in einer Abstimmung klar angenommen wurde. Weil die alte Verfassung einzig dem Parlament das Recht auf Verfassungsänderungen zubilligt, hatte die Volksabstimmung aber nur beratenden Charakter. Und im Parlament blieb die neu erarbeitete Verfassung bisher liegen.
Den wichtigsten Grund dafür macht Helgason bei der Frage aus, wem eigentlich die wichtigste natürliche Ressource Islands gehört, der Fisch. Dem Volk oder einigen wenigen privaten Besitzern von Fischereiflotten? Die Frage ist zentral, denn der Fischfang macht 60 Prozent der Exporte Islands aus. „Die Fischfangquoten werden heute zu enormen Preisen zwischen Reedern verkauft. Aber das Volk als Quotenbesitzer bekommt nur ganz wenig“, so Helgason. Der Vorschlag von 2011 verlangte, dass Meeresressourcen im Grunde in öffentlichen Besitz übergehen. Der Staat sollte die Nutzung an die Meistbietenden versteigern und die Bevölkerung an dem Reichtum beteiligen.
Dagegen wehrten sich die Vertreter privater Fischereiunternehmen im Parlament immer wieder, indem sie beispielsweise entsprechende Abstimmungen mit stundenlangen Gesangseinlagen verhinderten.
Nun will Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir einen neuen Anlauf wagen. Sie steht seit drei Jahren einer großen Koalition vor und schlägt vor, das alte Grundgesetz nicht in einem Anlauf, sondern schrittweise durch eine neue Verfassung abzulösen. Unterstützt wird ihr Vorhaben durch eine kürzlich eingereichte, von 43.000 Isländerinnen und Isländern signierte Petition.
Statt nochmals wegen der Fischereirechte im Parlament zu scheitern, will Jakobsdottir die Verfassung demokratisieren. Statt des Präsidenten soll künftig das Volk das Parlament mittels Initiativen und Referenden kontrollieren können. Auch Helgason unterstützt es: „Wir brauchen eine eigene Verfassung, nicht eine Übersetzung aus dem Dänischen.“
Um einen Schritt weiterzukommen, muss Jakobsdottirs Vorschlag vom jetzigen Parlament mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden, bevor im Oktober ein neues Parlament gewählt wird. Dieses muss den Entscheid dann nochmals bestätigen. Erst danach kann Island einen Schritt in die Zukunft tun und auch im Streit um den Fisch eine Lösung finden.
von
Günter Schwarz – 17.01.2021
Fotos: Reuters