(Itzehoe) – Eine 96-jährige Frau aus Schleswig-Holstein, die in dem Nazi-Konzentrationslager Stutthof bei Danzig wegen Tausender Morde angeklagt ist, ist kurz vor dem Prozess geflohen. Vor dem Landgericht in Itzehoe sollte heute Vormittag der Prozess gegen die mutmaßliche NS-Täterin beginnen. Doch die Angeklagte ist nicht mehr auffindbar.

Die 96-jährige Frau aus Itzehoe im südwestlichen Schleswig-Holstein, die während des Zweiten Weltkriegs in einem Konzentrationslager als Sekretärin des Lagerkommsandanten arbeitete, ist kurz vor einem Prozess aus Deutschland geflohen. Das sagt ein Sprecher des Landgerichts in der Itzehoe, die rund 120 Kilometer südlich von der dänisch-deutschen Grenze entfernt liegt.

Ehemaliges Konzentrationslager in Polen, Stutthof, in dem die heute 96-jährige Frau ab als 18-Jährige arbeitete. Fotoarchiv von 2020. Foto: Wojtek Radwanski / AFP

Der Frau namens Irmgard Furchner wird als junger Frau vorgeworfen, zwischen 1943 und 1945 an der Tötung von 11.412 Menschen im KZ Stutthof im besetzten Polen beteiligt gewesen zu sein.

„Die Angeklagte ist auf der Flucht. Sie hat heute Morgen ihr Zimmer in einem Quickborner verlassen und sei mit einem Taxi in Richtung U-Bahn-Station gefahren“, sagt Frederike Milhoffer vom Gericht. Die Frau arbeitete als 18- und 19-Jährige als Sekretärin im KZ Stutthof während des Zweiten Weltkriegs.

Irmgard Furchner als Sekretärin im KZ Stutthof im Alter von ca. 18 Jahren

Sie ist eine der ersten Frauen seit Jahrzehnten, die wegen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg angeklagt wurde. Der Prozess sollte am heutigen Donnerstag beginnen – einen Tag vor dem 75. Jahrestag des Urteils gegen 12 hochrangige Mitglieder des NS-Regimes. Bei dem historischen Prozess mit dem Spitznamen Nürnberger Prozesse am 1. Oktober 1946 wurden die 12 Personen zum Tode durch Erhängen verurteilt.

Irmgard Furchner hat als Sekretärin gearbeitet und lebt heute in einem Pflegeheim in Quickborn bei Hamburg. Sie arbeitete von Juni 1943 bis April 1945 im Büro von Paul Werner Hoppe. Er war der Leiter des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig.

Etwa 65.000 Menschen starben im Lager. Darunter waren „jüdische Häftlinge, polnische Widerstandskämpfer und sowjetische Kriegsgefangene“, wie die Anklageschrift zeigt. 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird es sicher der letzte Fall sein, Beteiligte an den Morden strafrechtlich zu verfolgen.

Mehrere Verfahren wurden bereits eingestellt, weil die Angeklagten tot sind oder als straflos gelten. Mindestens drei weitere Frauen wurden wegen ihrer Rolle in den Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs untersucht. Unter ihnen ist eine weitere Frau, die als Sekretärin im KZ Stutthof arbeitete. Sie starb letztes Jahr, bevor die Anklage erhoben werden konnte.

UPDATE Des Landgerichts Itzehoe vom 30.09.2021 um 14:30 Uhr

Vier Stunden nach dem gplanten Verhandlungsbeginn gab Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer bekannt: „Die Angeklagte wurde gefunden und wird jetzt dem Gericht vorgeführt. Die Hafttauglichkeit soll geprüft werden.“

Zur Zeit ist also unklar, ob der Prozess möglicherweise noch heute fortgesetzt werden kann.

Quelle: TV SYD – übersetzt und bearbeitet von

Günter Schwarz – 30.09.2021

Foto: TV SYD