(Itzehoe) – Der 96-jährigen Irmgard Furchner wird vorgeworfen, an der Tötung Tausender Menschen im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig im Zweiten Weltkrieg beteiligt gewesen zu sein.

Am Donnerstag, dem 30.09.2021, sollte vor dem Landgericht in Itzehoe ein aufsehenerregender Prozess gegen eine 96-jährige Frau beginnen. Doch Irmgard Furchner, der als junge Frau beschuldigt wird, zwischen 1943 und 1945 an der Ermordung von 11.412 Menschen im polnischen Konzentrationslager Stutthoff beteiligt gewesen zu sein, erschien nicht wie geplant vor Gericht.

Die Frau, die in einem Pflegeheim in Quickborn im Südwesten Schleswig-Holsteins lebt, entschied sich für die Flucht, indem sie in ein Taxi stieg und in Richtung einer U-Bahn-Station fuhr. Gegen sie wurde daraufhin ein Haftbefehl erlassen und wenige Stunden später wurde sie in Hamburg gefunden, festgenommen und der U-Haft zugeführt, nachdem ihre Haftfähigkeit geprüft worden war.

Dass der Prozess bemerkenswert ist, liegt daran, dass Irmgard Furchner als eine der ersten Frauen seit Jahrzehnten wegen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg angeklagt wurde.

Sie war Sekretärin des Lagerkommandanten und wurde am 29. Mai 1925 in Kalthof bei Danzig, dem heutigen Gdansk, mit dem Mädchennamen Dirksen geboren. Nach der Grundschule absolvierte sie ein Landjahr, das nur acht Monate dauerte, einer der Einrichtungen der Nazis, den Jungen Marschieren und Schießen und den Mädchen Nähen, Kochen und Haushalt beizubringen.

Danach machte sie eine Ausbildung zur Kauffrau und wurde 1943 mit 18 Jahren als Sekretärin beim Lagerkommandanten des Konzentrations- und Vernichtungslagers Stutthof bei Danzig angestellt. Alles, was Kommandant Paul Werner Hoppe über Anweisungen schrieb, ging durch ihre Hände. Sie tippte, nahm Protokolle auf und versandte Funksprüche.

In Stutthof lernte sie ihren späteren Ehemann, den SS-Oberscharführer Heinz Furchtsam, kennen. Später nahm er die Namensänderung in Furchner vor, weil Furchtsam im Deutschen Furcht auslöst. Das Paar heiratete 1954. Ab 1960 wohnten sie im Birkenweg in Schleswig, wo Heinz 1972 starb.

Die Boulevardzeitung Bild, die viele dieser Informationen recherchiert hat, hat nicht genau hingeguckt, Nachbarn zu fragen, was das Ehepaar Furchner für Menschen seien. Nachbarn beschreiben Irmgard als unfreundliche und geradezu boshafte Frau. 2014 zog sie in ein Pflegeheim

Irmgard Furchner hat in früheren Vernehmungen und Interviews mehrfach erzählt, dass sie nicht wusste, dass die Massenvernichtungen in Stutthof und anderswo stattfanden. Sicher, es gab Hinrichtungen, gab sie zu, aber sie glaubte, dass es sich dabei um Exekutionen nach konkreten Straftaten handelte – aber sie glaubte überhaupt nicht an Massenmord.

Ihr Verteidiger glaubt, sie sei von den Realitäten auf der anderen Seite ihres Büros abgeschirmt worden, und das ist nicht nur Gerede. Die Nazis hatten einige archaische und nicht immer kohärente Vorstellungen davon, wozu Männer und Frauen fähig waren, und demnach sollten Frauen keinen Krieg führen oder Gewalt ausüben.

Das schloss natürlich eine notorische Ausnahmen nicht aus, wie die der Hermine Braunsteiner, die 1981 nach einem mehr als fünfjährigen Prozess wegen unbeschreiblicher Verbrechen in Ravensbrück und Majdanek zu lebenslanger Haft verurteilt wurde weil sie dort Wache gehalten hatte.

Oder Hildegard Lächert, die im gleichen Prozess 12 Jahre für Dinge bekommen hat, die keine Wiedergabe verdienen. Dass sie den Spitznamen Bloody Brigyda, Bloody Brigitte, hatte, muss genügen.

Es gibt noch einige andere Frauen, die unter den Nazis für ihre Taten bezahlen mussten. Aber die meisten waren Männer in der Vernichtungsmaschinerie, allein in Auschwitz waren es 6.500 Männer und 170 Frauen. Frauen übten zumeist Servicedienste wie Schreibmädchen oder Sekretärinnen wie Irmgard Furchner, Kochmädchen, Lagerarbeiterinnen oder sonst was aus.

Und viele Jahre nach dem Krieg unternahmen die deutschen Behörden nichts, um Mitarbeiter*innen von Konzentrationslagern zu bestrafen, die kein direktes Blut an ihren Händen hatten wie Braunsteiner und Lächert. Doch nachdem es 2011 gelungen war, den in der Ukraine geborenen John Demjanjuk wegen Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs zu verurteilen, wurde das Rampenlicht von Männer auch auf Frauen gelenkt, die „nur“ dazu beigetragen haben, Vernichtungen zu ermöglichen.

Es ist schwierig, genaue Zahlen zu bekommen, wie viele Frauen derzeit verdächtigt werden. Sie sind angeblich schon tot, bevor es zu einem Prozess gekommen ist, und es führt dazu, dass die Zahl der Männer und Frauen, die bestraft werden können, sinkt.

Der nächste Verhandlungstag im Prozess gegen Irmgard Furchner soll am 19. Oktober stattfinden.

Quelle: TV SYD – übersetzt und bearbeitet von

Günter Schwarz – 02.10.2021

Fotos: Archivbilder