96-jährige Frau vor Gericht – angeklagt wegen 11.000 Morden
(Itzehoe) – Der Prozess gegen eine Frau, die als junge Frau in einem Konzentrationslager beschäftigt war, hat am Dienstag im norddeutschen Itzehoe begonnen. Der 96-Jährigen wurde am Dienstag vorgeworfen, sich dessen bewusst zu sein, was sie als Teenager in einem Konzentrationslager der Nazis geleistet hat.
Es findet in der norddeutschen Stadt Itzehoe statt, wo vor dem Landgericht ein Verfahren gegen sie begonnen hat. Der Prozess hat mit knapp drei Wochen Verspätung begonnen, nachdem die Frau kurz vor der ersten angesetzten Gerichtsverhandlung am 30. September geflohen war und erst nach Stunden in Hamurg aufgegriffen wurde.
Am Dienstag tauchte die 96-jährige Irmgard Furchner mit einem Schal um den Kopf und einer Gesichtsmaske im Rollstuhl sitzend auf. Ihr wird vorgeworfen, zwischen 1943 und 1945 an der Tötung von 11.412 Menschen im KZ Stutthof bei Danzig im besetzten Polen beteiligt gewesen zu sein.

Stutthof war das Lager, in das 1943 150 dänische Kommunisten deportiert wurden. 22 von ihnen starben im Lager oder bei der Räumung von Stutthof kurz vor Kriegsende 1945 an Krankheiten und Erschöpfung. Von Juni 1943 bis April 1945 arbeitete Furchner als Sekretärin im Büro von Paul Werner Hoppe. Er war der Leiter des Konzentrationslagers bei Danzig.
Nach Angaben von Staatsanwalt Maxi Wantzen habe Furchner durch ihre Arbeit dazu beigetragen, „den reibungslosen Ablauf des Lagers zu gewährleisten“. Durch die Arbeit erlangte sie auch „Kenntnisse über alle Geschehnisse und Vorgänge in Stutthof“. Das Geschrei der Häftlinge und das Hineindrängen in die Gaskammern seien für jeden im Lager „deutlich zu hören“ gewesen, sagt die Staatsanwaltschaft.
Furchner steht wegen ihres jungen Alters als sie im Konzentrationslager beschäftigt war, vor einem Jugendgericht. Sie ist eine der ersten Frauen seit Jahrzehnten, die wegen Verbrechen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg angeklagt wurde. Insgesamt wird es 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum letzten Aufruf, die Beteiligten strafrechtlich zu verfolgen.
Mehrere Verfahren wurden bereits eingestellt, weil die Angeklagten tot sind oder nicht strafrechtlich verfolgt werden können. Mindestens drei weitere Frauen wurden wegen ihrer Rolle in den Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs untersucht. Unter ihnen ist eine weitere Frau, die als Sekretärin im KZ Stutthof arbeitete. Sie starb letztes Jahr, bevor die Anklage erhoben wurde.
Quelle: TV2 SYD – übersetzt und bearbeitet von
Günter Schwarz – 20.10.2021
Foto: TV SYD