Vergessene Epidemie tötete Tausende arme Menschen – währenddessen schaute die Bourgeoisie in København weg
(Kongsted) – Im Jahr 1831 wurden zwei Prozent der dänischen Bevölkerung getötet, als „Den sjællandske feber“ (Das seeländische Fieber) Sjælland (Seeland), Lolland und Falster verwüstete. Es ist eine vergessene Epidemie, glauben Historiker.
Sie haben definitiv vom Coronavirus gehört. Sie haben wahrscheinlich auch schon von Typhus, Pest, Cholera, Tuberkulose und vielen anderen Infektionskrankheiten gehört, die sich im Laufe der Geschichte verbreitet haben. Aber nur wenige haben von der Krankheit gehört, die vor fast 200 Jahren Tausende von armen Bauern auf Sjælland tötete, während die Wohlhabenden in der Hauptstadt wegschauten.
1831 verwüstete eine Epidemie Sjælland und Lolland Falster. Das Sjælland-Fieber oder das Lolland-Fieber wurde es genannt. Was genau es war, ist nicht sicher, aber es handelte sich offenbar um eine Form der Malaria, die sich in den vielen Feuchtgebieten leicht über Mücken ausbreiten konnte.

Heute wissen nur noch wenige von der Krankheit, doch schon 1831 hinterließ sie deutliche Spuren in den Kirchenbüchern. Dieses zeigt sich nicht zuletzt in Kongsted in Sydsjælland (Südseeland), wo Kolumne um Kolumne von den harten Zeiten erzählt.
„Stellen Sie sich vor, 46 Personen aus einer Gemeinde in einem Monat begraben zu müssen. Das sind sehr viele“, sagt Jeanette Capion, Pfarrerin in Kongsted. Sie hat noch nie von der Krankheit gehört, obwohl die Zahl der Todesopfer die Region hart getroffen hat. „Das sind absurde Zahlen“, sagt die Pastorin.

Im September 1831 läuteten in der ansonsten sehr kleinen sydsjællandske (südseeländischen) Stadt Kongsted 46 Mal die Kirchenglocken zu einem Begräbnis. Am Freitag, den 2. September 1831, läuteten die Kirchenglocken zu einer einzigen Beerdigung. Doch bereits am darauffolgenden Montag sollten sechs weitere beerdigt werden, und nur drei Tage später weitere sechs.

Das Sjælland-Fieber wurde erstmals Ende Juli 1831 diagnostiziert. Im September 1831 wurde entschieden, dass die Krankheit nach dem Epidemiegesetz behandelt werden sollte, was bedeutete, dass die Behandlung – im Gegensatz zu anderen aus dieser Zeit – kostenlos war.
Daher kam am 5. September desselben Jahres ein junger Medizinstudent auf das Turebyholm Gut etwas nördlich von Dalby in Sydsjælland. Es war der 21-jährige Medizinstudent Emil Hornemann, der von einem anderen Arzt hinzugezogen worden war, der mit der Situation nicht umgehen konnte. Er war zuständig für 18 Dörfern und drei Herrenhäuser“, sagt Morten Arnika Skydsgaard, Arzt und Historiker am Steno Museum der Universität Aarhus.
Die Erfahrung war für den sehr jungen Medizinstudenten gewaltig. „Er hat eine schwere Epidemie erlebt, die Bauern zu Tausenden getötet hat“, erklärt er.

Emil Hornemann schrieb anschließend seine Memoiren nieder. Sie enthalten Geschichten darüber, wie sie im 19. Jahrhundert Kranke gegen das Sjælland-Fieber behandelten. Neben kalten Wickeln und Senfsauerteig unter den Füßen kam bei der Behandlung auch ein sogenannter Snapper zum Einsatz – ein kleines Instrument, mit dem die Venen des Patienten in Verbindung mit einer Venenbelastung geöffnet wurden. „Damit konnte man die Blutgefäße in der Achselhöhle öffnen. Dann entleerten sie 200-300 Milliliter Blut, um Blut aus dem Gehirn zu ziehen“, sagt Morten Arnika Skydsgaard. „Es half beim Fieber, aber nicht bei der Krankheit“, erklärt er.
Somit war die Venenladung bestenfalls beruhigend. Im schlimmsten Fall war es geradezu gefährlich.

Laut Morten Arnika Skydsgaard ist das Sjælland-Fieber für die Nachwelt einfach in Vergessenheit geraten – und das bis in die Gegenwart. „Es gab seinerzeit rund 400.000 Bauern auf Sjælland. ca. 70.000 davon erkrankten und etwa 9.000 starben. Damit starben über zwei Prozent der damaligen Bevölkerung Dänemarks“, sagt er.
Doch nicht einmal die Pastorin in Kongsted hat von der Krankheit gehört, die ihre Kirchengemeinde heimgesucht hat. „Wir haben über den schwarzen Tod und alles andere gehört, aber nichts über das Sjælland-Fieber, sagt Jeanette Capion.
Die Erklärung liegt dem Historiker zufolge in der Region des Epizentrums verborgen. „Das Sjælland-Fieber sei zur vergessenen Epidemie geworden, weil es weit weg von København stattfand“, sagt Morten Arnika Skydsgaard.

Die Bourgeoisie in der Landeshauptstadt redete über die Cholera, die in Wien und Moskau hauste, während die Bauern auf den dänischen Feldern südlich und westlich von København umfielen. Das Sundheds-Collegiet (Gesundheitskolleg) – ein Vorläufer der Sundhedsstyrelsen (Gesundheitsbehörde) – war wegen des Cholera-Risikos in Alarmbereitschaft. Es wurden strenge Regeln für die Quarantäne erlassen und Briefe mit guten Ratschlägen zur Infektionsprävention und zur Behandlung von Erkrankten verföffentlicht.
Während das Sjælland-Fieber unter den Bauern wütete, spielte das Sundheds-Collegiet eine zentrale Rolle dabei, die Cholera aus dem Land fernzuhalten. Die Bauern an der Ostseeküste wurden überwacht, um sicherzustellen, dass ausländische Schiffe die Quarantäne einhielten, die zwanzig Tage dauerte, bevor die Besatzung an Land gehen durfte.
„Es ist paradox, dass die Bauern, die recht erschöpft und häufig sogar krank waren, Tag und Nacht auf der Hut sein mussten, um sicherzustellen, dass die Cholera nicht ins Land kam, während in Sjælland eine Epidemie und eine riesige Katastrophe wüteten“, sagt Morten Arnika Skydsgaard.
Die Cholera erreichte København zum ersten Mal 22 Jahre nach dem Einzug des Sjælland-Fiebers im Herbst 1831. Sie traf Dänemark jedoch weit weniger hart als das Sjælland-Fieber, das zwei Prozent der Landbevölkerung tötete.

Que1le: TV2 ØST – übersetzt und bearbeitet von
Günter Schwarz – 06.12.2021
Fotos: TV2 ØST