Forscher haben endlich den Teil des Gehirns kartiert, der auf die Klitoris reagiert. Die Klitoris.ist ein Genitalorgan, das seit Jahrzehnten mit viel Unwissenheit assoziiert wird – nicht nur bei Sexualpartnern, sondern auch in der Wissenschaft. Bis jetzt.

In einer neuen Studie, die im „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht wurde, haben Forscher identifiziert, welcher Teil des Gehirns mit der Klitoris verbunden ist. Damit ist die Wissenschaft dem Verständnis der Komplexität des Organs einen Schritt näher gekommen. Ein Verständnis, das unter anderem zur zukünftigen Traumabehandlung beitragen kann

Die Forschung basiert auf Studien an 20 gesunden Frauen im Alter von 18-45 Jahren, die alle einer Luftdruckstimulation der Klitoris mit einem speziell entwickelten Objekt ausgesetzt wurden. Währenddessen zeichneten die Forscher ihre Gehirnaktivität in einem MRT-Scanner auf. Gerade die Luftdruckstimulation war ein wegweisender Faktor für die durchzuführende Forschung.

Die Forscher dahinter erzählen, wie frühere Forschungsexperimente zu unscharfen Ergebnissen führten, weil die verwendeten Stimulationstechniken zu ungenau waren und oft andere Bereiche als die Genitalien allein betrafen. „Der Ansatz sei für die Teilnehmer ,so angenehm wie möglich‘ gestaltet worden“, sagte Co-Autor John-Dylan Haynes vom Berlin Center for Advanced Neuroimaging gegenüber AFP.

Was bedeutet die Verbindung zwischen Gehirn und Klitoris?

  • Die Forschung hat speziell die Verbindung zwischen der Klitoris und dem sogenannten somasentorischen Kortex des Gehirns kartiert. Es ist der Teil des Gehirns, der für die Registrierung aller Sinneseindrücke verantwortlich ist, denen der Körper ausgesetzt ist.
  • Wird beispielsweise der Fuß berührt, wird der Teil des somasentorischen Teils des Gehirns aktiviert, der spezifisch Sinneseindrücke vom Fuß empfängt. Genauso wird ein bestimmter Bereich des Gehirns aktiviert, wenn die Hand etwas Heißes berührt.
  • Genau welcher Teil des Gehirns erhält nun den Sinneseindruck der Klitoris, der nun kartiert wurde.

Die neue Studie zeigt, dass die Berührungen und andere Sinneseindrücke, die in der Klitoris wahrgenommen werden, in dem Teil des Gehirns registriert werden, in dem auch Eindrücke von der Hüfte erfasst werden. Das heißt, wenn man die Klitoris berührt und auf die Hüfte drückt, wird der gleiche Bereich des Gehirns aktiviert – so wie es bei einem anderen ähnlichen Genitalorgan der Fall ist: dem Penis.

Doch wo bereits 2005 kartiert werden konnte, wo und wie der Penis im Gehirn registriert wird, ist es erst jetzt möglich, das gleiche Wissen über die Klitoris zu erlangen. Daher ist der Durchbruch im Verständnis der Gehirnverbindung der Klitoris ein wichtiger Schritt. Nicht nur für Gleichberechtigung in der Forschung selbst, sondern auch in Bezug auf den Kampf gegen die sogenannte Orgasmuslücke. Dieses ist die Meinung von Astrid Højgaard, Chefärztin am Sexologischen Zentrum des Universitätskrankenhauses Aalborg.

Was ist die Orgasmuslücke?

  • Die Orgasmuslücke wird als Begriff verwendet, um den großen Unterschied in der Anzahl der beim Sex erreichten Orgasmen für Männer und Frauen in einer heterosexuellen Beziehung zu definieren.
  • Untersuchungen zeigen, dass 95 Prozent der Männer in heterosexuellen Beziehungen beim Geschlechtsverkehr oft oder immer einen Orgasmus erreichen.
  • Bei Frauen ist die Zahl jedoch viel geringer – 65 Prozent.

Sie erklärt, wie im Laufe der Zeit männliche Forscher überwogen. Etwas, das in der Forschung zu spüren war. „Sie waren am meisten daran interessiert, die männliche Sexualität zu untersuchen, die die der Frau in den Hintergrund gedrängt hat“, sagt sie.

Daher freut sich die Chefärztin, dass sich die neue Studie auf das weibliche Gehirn, den Orgasmus und die Verbindung zu den Genitalien konzentrieren wird. „Es ist ein unglaublich wichtiger Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter. Man mag sich wundern, dass es früher kein größeres Interesse gegeben hat“, sagt sie.

Astrid Højgaard erklärt, wie die sensorische Verbindung zwischen Klitoris und Gehirn als trainierbare Autobahnverbindung verstanden werden kann. „Sie haben Einfluss darauf, wie eine Verbindung zwischen Körper und Gehirn besteht. Mit Reizen ist es möglich, die Autobahn zu stärken, die die Sinnessignale bis zum Gehirn tragen kann.“

Neben der Möglichkeit zu lokalisieren, wo im Gehirn Sinneseindrücke von der Klitoris registriert werden, leitet die Studie auch einen Zusammenhang zwischen der Größe des Areals und den Sexualgewohnheiten her. Es zeigte sich, dass der spezifische Bereich des Gehirns, der mit den Genitalien verbunden ist, bei den Probanden, die angaben, sexuell sehr aktiv zu sein, stärker entwickelt war.

Allerdings stellen die Forscher klar, dass die Studie nichts darüber sagen kann, ob Menschen mit größeren Hirnarealen eine empfindlichere Klitoris haben. Oder ob die Gehirnfläche groß ist, weil die Frauen mehr Sex haben, oder ob die Frauen mehr Sex haben, weil die Fläche groß ist. „Dennoch macht es Sinn, dass es einen Zusammenhang gibt“, sagt Astrid Højgaard.

„Der Orgasmus ist eine Gehirnerfahrung, je öfter trainiert wird, desto mehr Spuren bekommt die Autobahn“, erklärt sie.

Christine Heim, Co-Autorin der Studie und Professorin für Medizinische Psychologie an der Charité in Berlin, erzählt laut „ScienceAlert“, wie „vollständig erforscht“ die weiblichen Genitalien und deren Gehirnverbindungen seien. Denn Forschung kann nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter in der Forschung sein, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen.

Christine Heim teilt der AFP mit, dass die Ergebnisse der Studie für die zukünftige Traumabehandlung von Überlebenden sexueller Übergriffe verwendet werden können. Ebenso kann das Wissen über die Gehirnverbindung der Klitoris zur Behandlung und Hilfe von Menschen mit sexueller Dysfunktion beitragen. Eine Interpretation, der Astrid Højgaard zustimmt und hofft, dass zukünftige Forschungen zu weiteren Erkenntnissen über die Beziehung zwischen Hirnareal und Klitoris beitragen können.

„Wir wissen, dass positive sexuelle Erfahrungen nach Missbrauch helfen können, ein sexuelles Verlangen zu rehabilitieren. Daher könnte es auch interessant sein, zu untersuchen, inwieweit das Gehirnareal durch positive Reize gestärkt werden kann“, sagt sie.

Fakten über die Klitoris

  • Die Klitoris befindet sich dort, wo sich die inneren Schamlippen treffen. Allerdings ist nur ein kleiner Teil der Klitoris sichtbar.
  • Der Körper sieht aus wie ein umgekehrtes Y, wobei sich die Mehrheit im Körper befindet.
  • Der sichtbare sogenannte Drüsenkopf hat 8.000 Nervenenden. Zum Vergleich: Der Penis des Mannes hat 4.000 bis 5.000 Nervenenden.
  • Dieses bedeutet jedoch nicht, dass Menschen mit Klitoris empfindlicher zwischen den Beinen sind als Menschen mit Penissen.

Astrid Højgaard betont, dass man darauf achten muss, das sexuelle Verlangen nicht ausschließlich auf „Nervenenden und das Gehirn“ zu reduzieren. Sie erklärt, wie ein stärker forschungsorientierter Fokus auf Frauen und Orgasmen dazu beitragen kann, die Vorstellung zu durchbrechen, dass Frauen es schwerer haben, „zu kommen“, und eine breitere Diskussion über das Verständnis von Lust anzustoßen.

„Alle Forschungen sind positiv. Denn je mehr Fokus wir auf den Bereich legen, desto besser. Man kann hoffen, dass Ergebnisse wie diese dazu beitragen, dass der Orgasmus bei Frauen häufiger wird“, schließt sie.

Quelle: TV2 – übersetzt und bearbeitet von

Günter Schwarz – 26.12.2021

Foto: TV2