Stefan ist mit einem wilden Wikinger verwandt
(Samsø) – Stefan Hafstein Wolffbrandt ist der Ururururenkel in der 44. Generation des Wikinger-Berserkers Angantyr. Heute lebt er selbst auf Samsø – ganz in der Nähe der letzten Ruhestätte seiner berüchtigten Vorfahren.
Eine Karte von Island hängt über dem Esstisch im Elternhaus der 1960er Jahre in Toksværd auf Sjælland (Seeland). Hier in der Küche verbringen Stefan Hafstein Wolffbrandt und seine drei Brüder die meiste Zeit. Die Karte mit der runden Insel und ihren vielen spitzen Einkerbungen, Hochebenen, Bergen und Gletschern kann Stefan stundenlang betrachten – ganz anders als in Dänemark.
Die Wildheit fasziniert ihn. Eine Insel, die durch die Lava von Unterwasservulkanen geschaffen wurde. Unter der vergilbten Karte sitzen die Brüder auf der Bank, um sich die Familiengeschichten anzuhören, die als fester Bestandteil der Karte mit dabei waren. Geschichten über eine lange und bunte Familiengeschichte, große Persönlichkeiten, Pioniergeist und brutales Wikingerblut.
Die Geschichten wurden von Stefans Eltern und auch von den alten Großeltern auf beiden Seiten erzählt. Bereits im Alter von 12 Jahren sorgte er dafür, genaue Legenden über ehemalige Mitglieder des Hafstein- und Wolffbrandt-Clans zu bekommen. Damals fing er an zu schreiben und tut es immer noch. Es ist ein vielfältiger Stammbaum geworden, der nachweislich sowohl kreative Künstlerseelen, betrunkene Politiker, sensible Dichter als auch wilde Wikinger enthält.

Das Interesse an der eigenen Abstammung keimte früh, und auch heute als 56-Jähriger wird Stefan nicht müde, in seine eigene Vorgeschichte einzutauchen. Andererseits denke ich, es gibt Kraft, sowohl das Gute als auch das Schlechte bei sich zu haben. Wenn Sie wissen, dass es auch in Ihrer eigenen Blutlinie scharfe Gegensätze gab, können Sie andere nicht so leicht beurteilen. Und dann finde ich es wichtig, seine Wurzeln zu kennen, weil es einfach einen starken Grundstein liefert“, sagt Stefan.
Einem insbesondere, mit dem er sich besonders verbunden fühlt. Bersærken Angantyr. Ein Name, umgeben von großer Ehrfurcht in der frühen Wikingerzeit. Tatsächlich ist es der Name mehrerer Personen aus dieser Zeit. Er wird in vielen der alten Sagen wiederholt, in denen vor allem die legendäre Geschichte von Angantyr und seiner Tochter Hervør über Generationen hinweg erzählt wurde.
Bersærk (Berserker)
- Das Wort „Bersærk“ bezieht sich auf eine besondere Form der Kriegsführung, die in der Wikingerzeit kultiviert wurde und in antiken Dokumenten beschrieben wird. Es beschreibt einen kriegerischen Zustand, in dem der Wikinger von einem wütenden und animalischen Kampfgeist erfüllt war.
- Die Berserker bissen in ihre Schilde und warfen oft sowohl Rüstungen als auch Roben in ihr Blutvergießen. Sie waren furchtlose Krieger und machten normalerweise ganze Gruppen nieder, wenn die „Berserkerbande“ auf sie stießen.
Die Bedeutung „at gå Bersærk“ (to go Berserker) stammt aus den alten Sagen.
Quelle: Nationalmuseet
Hier führte Angantyr, umgeben von seinen 11 Brüdern, brutale Wikinger-Expeditionen in ganz Skandinavien durch. Überall verbreiteen sie Angst und Schrecken. Angantyr hatte Vorfahren sowohl von einem Riesen als auch von einem Bergbewohner und hatte eine beeindruckende Größe von einem Mann, und als der Älteste in der Familie erbte er das magische Schwert „Tyrfing“ von seinem Vater.
Das Schwert war verflucht und dazu verdammt, die immerwährende Verdammnis zu verewigen. Der Fluch gipfelte schließlich auch in Angantyrs Tod. Nach einer blutigen Schlacht verlor er sein Leben und wurde in einem Grabhügel auf Samsø beigesetzt. Die Saga erzählt weiter, wie seine Tochter, die widerspenstige Hervør, den Grabhügel ihres Vaters auf der sagenumwobenen Insel aufsuchte, um das Erbe ihres Vaters zu beanspruchen.

Stefan lebt heute auf Samsø, etwa vier Kilometer von Angantyrs Grabhügel entfernt in einem großen roten Holzhaus, das er selbst gebaut hat. Gut sechs Monate hat er dafür gebraucht – mit etwas Hilfe. Er dankt seinem alten Wikinger-Vorfahren für seine Tatkraft und Willenskraft.
„Ich zögere selten. Wenn ich etwas will, mache ich es. Ich bin gut darin, Dinge anzufangen und Dinge zu erledigen. Aber ich habe jetzt viele Aktivitäten gedrosselt. Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und für meine Familie da sein. Samsø gibt mir Ruhe. Und dann bin ich hier meinen Wikingerwurzeln näher. Das hat etwas zu bedeuten“, sagt Stefan.
Obwohl es unter Experten keine vollständige Einigkeit darüber gibt, ob die Geschichte des Bersærkers Angantyr echt ist, werden wir in Bezug auf die Archäologie ständig klüger. Tatsächlich deuten viele neuere archäologische Funde darauf hin, dass alte Sagen oft viel von der Realität beschreiben, die Archäologen aus der schwarzen Erde ausgraben können. Zum Beispiel auf Samsø. Archäologische Forschungen zeigen, dass es auf der Insel in der frühen Wikingerzeit erbitterte Schlachten gab – Schlachten, bei denen man sich vorstellen kann, dass eine Figur wie Angantyr an der Spitze gestanden haben könnte.

Das antike Angantyr ist natürlich sehr weit weg. Bis zu 44 Generationen müssen wir in Stefans Genealogie zurückgehen, um diesem entfernten Vorfahren zu begegnen. Aber Stefan spürt noch immer die Verankerung in den Blutsbanden. „Es ist mir nicht so wichtig, was die Leute von mir denken. Derjenige, der Gewalt und die Stärke ausstrahlt, muss von irgendwoher kommen. Der Mut, Neues zu entdecken und zu tun. Ich mag es denken, dass es mir im Blut liegt. Es hat mir mehr Sicherheit und Vertrauen in mich selbst gegeben“, sagt Stefan.

Stefan beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit Ahnenforschung. Im Jahr 1995 hat er seine Aufzeichnungen zusammengestellt und auf den Computer übertragen. Dann ging die Reise zu den verstaubten Kirchenbüchern, die er mit einem seiner Brüder intensiv studierte. Mit dem Einzug der digitalen Welt wurden auch verschiedene Foren im Internet zu natürlichen Treffpunkten für Ahnenforscher. Heute ist die Übersicht groß.
„Ich habe jetzt ungefähr 2.200 Personen in meiner Genealogie-Datenbank. Die meisten wurden zwischen 1978 und 2000 gefunden. Aber insgesamt bin ich 60 Generationen in der Zeit zurück – etwa bis zum Jahr Null, der Geburt Christi“, sagt er.
Stefan hat sich mühevoll durch eine Generation nach der anderen gearbeitet und aus den losen Stücken, die er erschnüffeln konnte, den Stammbaum der Familie zusammengesetzt.
Seine Suche führte ihn durch Islands brutale Natur väterlicherseits und weiter in das mythische Universum der Edda-Gedichte, zurück aufs Festland und einige bunte Glasbläser in Deutschland, wo die Familie seiner Mutter herkommt, und sogar ein kurzer Abstecher in die alte dänische Königsfamilie aus Lejre „Skjoldungerne“ (Schildjungen) – eine der frühesten Herrscherfamilien in Dänemark. Tatsächlich glaubt er, seine eigene Abstammung bis zum obersten Gott der nordischen Mythologie Odin selbst zurückverfolgen zu können.
Der Weg dorthin führte unter anderem über das sogenannte Íslendingabók, ein Online-Nachschlagewerk, in dem Sie Informationen über fast alle registrierten Isländer im Laufe der Zeit finden. Zugang gibt es nur für Leute mit isländischer Abstammung, .
Stefan hat keine, aber er hat auf der Insel weit draußen im Atlantik nach und nach so viele gute Bekanntschaften gefunden, dass ihm sowohl neue Freunde als auch Familienmitglieder gerne bei seiner Arbeit helfen suchen.
„Wir nennen uns frændi und frænka – das bedeutet Verwandte. So werden die Menschen in Island oft genannt, weil alle Bewohner der Insel auf die eine oder andere Weise miteinander verwandt seien“, sagt er. Bersærk Angantyr war nie in Island. Nach Stefans Berechnungen lebte er etwa 400 Jahre bevor Island beaiwdelt wurde. Er lebte vor seinem Tod auf Samsø, in Norwegen, und seine Nachkommen wurden Wikingerhäuptlinge in den nordischen Ländern. Erst Ende des neunten Jahrhunderts wagten sich norwegische Auswanderer nach Island, um sich dort dauerhaft niederzulassen.
Durch eine Mischung dieser norwegischen Auswanderer nach Island und Nachkommen von Angantyr aus Norwegen, Dänemark und Schweden glaubt Stefan seit Generationen, seine Abstammung auf die alte Wikingerlegende zurückführen zu können.

Wie viele seiner berühmten Vorfahren war auch Stefan selbst viel unterwegs. Die Neugier mag mit der Familiengeschichte zusammenhängen, denn wie die alten Wikinger lässt sich auch Stefan ungern Gelegenheiten für neue Erfahrungen entgehen. Von seiner regulären Karriere auf Samsø blickt er nun auf ein spannendes und turbulentes Leben zurück.
Erst als Gymnasiast in den 80er Jahren, USA, dann Lagerarbeiter und technischer Alleskönner in København, später verheiratet und Vater von zwei Kindern, später hauptberuflicher Musiker in der Band TV2 Jam, wo er durch das Land tourte, und in den 1990ern war er reichlich ausgelaugt. Nach mehreren Jahren unterwegs mit Konzerten in ganz Dänemark brauchte Stefan einen bequemeren Platz zum Leben. Mit seiner strategischen Lage mittendrin war Samsø eine naheliegende Option.
„Ich habe viele Jobs hier auf der Insel gespielt, und es war der tollste Ort, um nach Hause zu kommen, wenn ich unterwegs war. Vor allem die Stille, die Natur und das ruhige Leben. Es gab mir neue Kraft und Energie, wieder zu gehen und mein Bestes für die Konzerte zu geben, die ich spielen musste“, sagt Stefan.

Dann eröffnete er ein Automuseum mit Austin-Oldtimern, schrieb ein Buch, ging in die Kommunalpolitik und bekam eine Stelle als SSP-Berater zur Prävention von Kinder- und Jugendkriminalität. Stefan ist selbst Vater von sieben Kindern im Alter von sechs bis 34 Jahren. Alles neben der Liebe zur Musik.
„Samsø gibt mir Raum, in mich einzutauchen und Lieder und Bücher zu schreiben, Musik zu komponieren und über die wichtigen Dinge im Leben zu philosophieren. Es gibt nicht so viele störende Elemente im Alltag. Und dann inspiriert es mich zu wissen, dass meine Vorfahren vor 1500 Jahren hier auf der Insel herumliefen und dass in ihren Adern das gleiche Blut floss wie in meinen. Ich fühle mich hier zu Hause – genau wie in Island aus den gleichen Gründen“, sagt Stefan.
Das Leben war durchweg echter Rock’n’Roll, und der Wagemut der Wikinger in Stefans Stammbaum hat ihm viel bedeutet. Aber die Genealogie hat ihm auch die Augen für die Bedeutung des Einzelnen als Ganzes geöffnet. „Ich weiß, dass ich nur eine kleine unbedeutende Figur im großen Spiel bin, aber wenn meine Ururgroßmutter meinen Ururgroßvater nicht geküsst hätte, würde ich heute nicht hier sitzen. Es ist so zufällig. Und deshalb sind wir in der Gesamtgleichung alle gleich bedeutend. So sind wir alle gleich, auch wenn es ein bisschen trist klingt“, sagt er schmunzelnd.

.Stefan ist von der Richtigkeit seiner Familiengeschichte überzeugt und hat im Laufe der Zeit viel Identität in den mit seiner Familie verbundenen Erzählungen gewonnen. Besonders lieb hat er den legendären Angantyr aus der Antike. Tatsächlich ist Stefan jedoch bei weitem nicht der einzige mit Wikingerblut in seinen Adern. Studien zeigen, dass bis zu 60 Prozent der heutigen Dänen gemeinsame Gene mit den alten Wikingern teilen – darunter vielleicht auch der begrabene Angantyr auf Samsø.
Die Antike war von großen Völkerwanderungen geprägt, und vor allem Gene aus dem Süden und Osten strömten in dieser Zeit nach Skandinavien. Bei drei bis zehn Prozent der heutigen Skandinavier sieht man beispielsweise genetische Spuren der Italiener der Wikingerzeit

„Wenn Sie Ihre Vorfahren studieren, wird Ihnen plötzlich klar, dass Sie selbst sterblich sind. Die Zeit holt uns alle ein. Ich werde es eines Tages auch sein. Aber man macht sich unsterblich, indem man sein Wissen darüber teilt, woher man kommt“, sagt Stefan und wirft einen Blick auf seine eigene Islandkarte. Sie hängt an der Wand über den drei Computern, die im Arbeitszimmer nebeneinander stehen, bereit für Stefan, sich über die Ahnentafeln zu stürzen.
Auf dem Tisch daneben ist ein Bild seiner beiden jüngsten Kinder. In Kürze wird er sie in der Schule abholen. Sie wollen auch den isländischen Nachnamen Hafstein. Stefan hat ihnen versprochen, dass sie diesen Tag erleben werden.
Quelle: TV2 ØSTJYLLAND – übersetzt und bearbeitet von
Günter Schwarz – 01.01.2022
Fotos: TV2 ØSTJYLLAND