Kirchen= Zeitzeugen der Küste
Zeitzeugen der Küste
Kirchen sind Orte des Glaubens, an der der Nordseeküste von Schleswig-Holstein sind Kirchen am Meer häufig mit Geschichten der Seefahrt verbunden, mit Sagen und Legenden. Manchmal hängen kleine Modelle von Schiffen in der Kirche. Andere Kirchen sind bei mörderischen Sturmfluten im Wattenmeer versunken, manch Relikt, manch altes Inventar hat den Untergang überlebt und die Zeit überdauert. Und manches Mal berichten die Grabsteine vom bewegten Leben an der Küste.
An der Südwestküste von Föhr, an einem Wintertag: Aus dem Sturm vom Vorabend ist ein Orkan geworden. Das Meer wütet, die Gischt verweht von den Wellenbergen und jagt über die kochende See, vermengt sich zu einem weißen Wasser, das über die Nordsee fliegt. Es liegt ein Donnern, es liegt ein Brausen vor Föhr. Die Brandung bricht in einem wüsten Durcheinander, überschlägt sich. Lichtfinger ragen aus den Wolken und tasten wie ein Spot über See und Land. Es ist auf das Rohe reduziert, selbst die Vögel sind verschwunden.
Der Weg führt zur Kirche von Süderende, das Gotteshaus liegt, umgeben von seinem Friedhof nur, abseits der Orte. Nordfriesland wurde über einen längeren Zeitraum um das Jahr 1000 christianisiert. Ehemalige heidnische Kultstätten wurden in der Regel nicht zerstört, sondern oft in Kirchen einbezogen, so befindet sich St. Laurentii nahe eines schon vorher heiligen Ortes, einer Totenstätte. Der hohe, alte Kirchturm ist gemauert aus Backstein und eine Wegmarke. St. Laurentii auf Föhr steht seit fast neun mal hundert Jahren schon und die Kirchentür lässt sich des Windes wegen nur schwer öffnen, gibt schließlich mit einem saugenden Geräusch nach. Obwohl zur Mittagsstunde der Tag im Dämmringen liegt, ist es in der Kirche sonderbar licht und hell, die weiß gekalkten Wände und Gewölbe scheinen das wenige Licht, dass durch die Fenster fällt, zu verstärken. Regen prasselt, drückt an die Fenster. Man sieht und hört die Elemente nicht nur, man spürt sie auchc.
Selbst in der Kirche meint man, einen leisen Luftzug zu spüren. Als die Tür zufällt, ist es still. Es riecht nach kalten Kerzen. Schnell stellt sich ein Gefühl des Behütetseins ein. Es ist eine angenehme Stimmung, niemand sonst ist heute hier, es ist eine meditative Ruhe. Und wer weiß, wie oft die Leute in diesem Raum, in den vergangenen neunhundert Jahren, zusammengesessen haben, wenn sie Trost brauchten und Ansprache, wenn es draußen gar zu arg wurde auch vom Wetter her. Es ist hier und heute auch eine Atmosphäre der Zuversicht, denn sie scheint zu stärken und aufzuladen. Ein Ort zum Innehalten gewiss, einer, der Schutz bietet, sicher.
Hört man jetzt nicht doch ein leises, gespenstisches Heulen? Spürt man nicht den Druck des Orkans auf dieser uralten Kirche? Nun fällt der Blick auf die schönen Deckenmalereien. Vor rund 350 Jahren wurden diese barocken Malereien geschaffen, über Jahrhunderte, waren sie unter nachfolgendem Anstrich verborgen, wurden in den vergangenen 70 Jahren entdeckt, freigelegt und zuletzt behutsam und aufwendig restauriert. Diese Malereien gelten als in Nordfriesland einzigartig.
Wer denkt hier schon an die Zeit der Walfänger, als im 17. Jahrhundert Männer und Kapitäne dieser Insel zu Ruhm und Reichtum kamen? Matthias Petersen, Kommandeur einer Walfangflotte, und seiner Erfolge wegen „Glücklicher Matthias“ genannt sowie sein Bruder John schenkten der Kirche zwei der üppigen Kronleuchter, ihr Messing leuchtet, die an der Gewölbedecke hängen. Oh ja!, die Seefahrer von Föhr waren in der Welt unterwegs. Das Marmortaufbecken im Vorraum wurde in Livorno hergestellt und vom einem Handelskapitän gestiftet. Auch hier hängt an der Kirchendecke ein Votivschiff, gespendet wurde es im Jahr 2003. Diese kleine, alte Kirche ist etwas ganz Besonderes, auch deshalb, weil es so viel zu entdecken und zu sehen gibt. Das älteste Stück von St. Laurentii ist der Taufstein aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Vor dem Altar liegen alte Grabplatten.
Heute lässt der Orkan einen Besuch auf dem Friedhof von St. Laurentii kaum zu, lohnenswert wäre es allemal: Hier stehen sogenannte „Sprechende Grabsteine“, die vom Leben und Wirken der Beigesetzten berichten. Auch auf Amrum / Nebel, auf Sylt / Keitum oder hier auf Föhr / Nieblum gibt es beispielsweise solche Grabsteine. Blumenmotive schmücken die prachtvollen Grabsteine; die Göttin Fortuna über einem Wal zum Beispiel oder Kreuz, Herz und Anker für Glaube, Liebe, Hoffnung, diese Steine berichten von den Abenteuern im Eismeer (Walfang) oder Fahrten nach Ostindien (Handel). Spannend anzusehen ist es, an einer Führung teilzunehmen umso mehr und gewiss empfehlenswert.
Auch auf dem „Friedhof am Meer“ von St. Severin in Keitum auf Sylt stehen „Sprechende Grabsteine“, die mehr als 800 Jahre alte Kirche selbst ist ebenfalls eine Sehenswürdigkeit. Dort, wo sie steht, wurden schon in frühester Zeit (germanische) Götter verehrt. In den Balken des Dachstuhls fanden sich Runen der Wikinger. Jahrelang wurde sie renoviert, vieles wurde restauriert, St. Severin erstrahlt umso mehr in vollem, neuen Glanz. St. Severin erzählt auch von Sylter Seefahrt: Da ist der Türknauf in Form eines Pottwales, dort ist der Türgriff in Form eines – auch vor Sylt vorkommenden – Schweinswales. An der Decke des Eingangsraumes zum Kirchenschiff hängt das Modell einer Brig und die meisten solcher Schiffchen haben eine Geschichte – dieses trägt die Flagge Schleswig-Holsteins. Als das Schiffsmodell in diese Kirche kam, gab es weder eine schleswig-holsteinische, noch eine preußische Flotte. Man kann das als subversiven Aufruf zur Bildung einer eigenen Flotte verstehen. Während der Restaurierung trugen die Handwerker Farb- und Rußschichten der Jahrhunderte von den Wänden ab, seitdem leuchten die Wandmalereien wieder in schöner Farbigkeit. Dabei wurden auch Entdeckungen gemacht.
An der Westküste von Pellworm, vor der offenen See, ragt eine Turmruine in den Himmel, sie gehört zur Alten Kirche von Pellworm. Die mächtigen Mauern des Kirchenschiffs bieten noch heute Schutz, auch hier herrscht eine sonderbare, behütende Atmosphäre, ein Ort mit Geschichte auch dieser: Wenn der Wind um die Gemäuer heult und die See auf die Deiche drückt, wenn die Schreie der Möwen im Wind verwehen und die der Dohlen zwischen den alten Mauern als Echos verhallen, dann werden die alten Geschichten wieder lebendig. Seeräuber sollen sich einst in dem Turm eingenistet haben, Freibeuter waren es, sagen die einen, Freiheitshelden gar die anderen. Und Cord Widderich war der Name ihres Anführers, die Bande sorgte für reichlich Aufruhr an der Westküste. Es war die Zeit der Kriege und Kämpfe, die Küste und das Land waren zudem von schwerer Sturmflut verwüstet. Was Sage ist, was wahr, ist kaum zu ermitteln: Widderich, einst reicher Bauer in Dithmarschen und Anführer regulärer Truppen verlor alles, schwor Rache, und sein Schiff fand den Weg durch die wilde Welt aus Wasser und Watt, aus Sandbänken und Prielen an die Westküste von Pellworm. Lag auch hier alles schon am Boden oder musste der Turm erst erobert werden? Fanden sie Schätze vor oder war schon alles geplündert? Wertvoll war jedenfalls die Aussicht auf die See und die zu plünderten Schiffe ließen sich gut erspähen. Sie fuhren rauf bis Ribe (DK), sie schlugen manche Schlacht. Schließlich rückten Widderich und seine Männer ein letztes Mal aus – und sie fuhren nach Büsum, zurück ins heimatliche Dithmarschen.
Als die „Drache“, das Schiff Cord Widderichs, in Büsum anlegte, soll sich etwas sehr Wertvolles an Bord befunden haben: ein Taufbecken aus Bronze und Teil des Pellwormer Kirchenschatzes, verziert mit Bildern und Figuren. Wie es nun genau und tatsächlich von Pellworm nach Büsum kam, ist nicht verbürgt. Aber dass es von Pellworm stammt, gilt als sicher. Die Glocken von St. Clemens in Büsum schlagen die Stunde und die Kirche steht unter großen Kastanien und Linden. Auch hier liegen die Grabplatten derer, die einst Rang und Namen hatten. In der Kirche brennen Kerzen, Licht fällt durch die Fenster in bunten Farben – und hier steht es: das Taufbecken, das der Überlieferung zufolge einst Cord Widderich von Pellworm hergebracht haben soll. Nur eine schöne Geschichte? Wer weiß. Auch die Geschichte dieser schönen, alten Kirche reicht weit in die Vergangenheit zurück, einst brandeten die Wellen der entsetzlichen Allerheiligen Flut von 1532 an die Mauern dieser Kirche. Büsum lag früher auf einer Insel. St. Clemens, Namenspatron und Schutzheiliger der Küstenbewohner, hielt dieses Mal sein Versprechen. Der Vorgängerbau von 1280 ging Mitte des 14. Jahrhunderts in einer anderen mörderischen Orkanflut unter. Auch in dieser Kirche hängt ein Schiffsmodell unter der Decke.
Es empfiehlt sich grundsätzlich, an einer Kirchenführung, ggf. an einer Friedhofsführung, teilzunehmen. Informationen dazu auf der Homepage des jeweiligen Urlaubsortes und / oder der zuständigen Kirchengemeinde. Es gibt an der Westküste Schleswig-Holstein so viele Kirchen mehr, die Geschichte haben und davon auch erzählen. Gehen Sie hin und schauen Sie sich um. Hören Sie zu. Bringen Sie Zeit mit und Muße. Dann beginnt eine andere Reise – die im Kopf.
Urlaubstipps:
zu Föhr:
Virtuelle Kirchenführung in St. Laurentii, Weitere Informationen auch auf www.foehr.de und Föhr: Kirchen und Museen – Geschichte und Kunst erleben
zu Keitum:
die Mittwochskonzerte in der Keitumer St. Severin-Kirche, siehe www.sylt.de/entdecken/kunst-kultur/musik-kirche
Kirchen- und Friedhofsführungen, siehe w ww.sylt.de/entdecken/erlebnisse/sylt-fuehrungen/kirchengemeinde-st-severin
zu Pellworm
Festliches und Unterhaltsames in St. Salvator:
Zu Weihnachten: Lieder und Lesungen am ersten Weihnachtstag
In den Sommermonaten: Orgelführungen, Orgelkonzerte
www.kirche-pellworm.com und www.pellworm.de
Zu Büsum
Unterhaltsame Ortsführungen mit den Büsumer Gästelotsen:
www.buesum.de/buesum-erleben/fuehrungen/ortsfuehrungen
Kirchenführungen in Büsum gibt es ganzjährig, siehe dazu
www.kirche-buesum.de/geschichte/kirchenfuehrungen/
Quelle: Pressemitteilung: Nordsee-Tourismus-Service GmbH