Als die Südjüten vor 100 Jahren sich bei der Volksabstimmung für Dänemark entschieden und die derzeitige Grenze gezogen wurde, spielte ein Gymnasiallehrer in Frederiksberg eine wichtige Rolle.

Als die letzten Geschosse, Bomben und Granaten abgefeuert waren, erwachte Europa im November 1918 aus einem vierjährigen kollektiven Albtraum von Millionen von Toten. Im Trommelfeuern und einer höllischen Symphonie aus Stahl und Feuer waren Generationen Männer zermalmt worden, und der Krieg hatte Kontinentaleuropa mit einem kopfblutenden Schädelbruch verlassen.

Im Norden des zusammengebrochenen Deutschen Reiches traf sich in den Tagen nach der deutschen Kapitulation eine Gruppe Nordschleswiger dänischer Abstammung in einem Versammlungshaus in Aabenraa. Sie tranken Kaffee und besprachen dabei die damalige Situation in der Region. Und sie waren sich einig darüber, dass eine Grenzlinie, die vor einigen Jahren von einem Gymnasiallehrer aus Frederiksberg vorgeschlagen worden war, eigentlich eine rationale Linie war

Die dänische Vælgerforeningen (Wählerverband) für Nordschleswig zeigte sich optimistisch über den jüngsten Frieden und unterzeichnete ein Dokument, das als Aabenraa-Resolution bekannt ist. Dieses verlangte, dass die Bürger von Nordschleswig – oder Sønderjylland, wenn man wollte – über eine neue Grenze zwischen Dänemark und Deutschland abstimmen sollten.

Obwohl Hans Victor Clausen tatsächlich in København lebte, wo er am Frederiksberg Gymnasium Geschichte unterrichtete, beschäftigte er sich sehr mit der Gegend südlich der Kongeå (Königsau), die einst bis 1864 dänisch gewesen war. Bereits in seiner Jugend reiste er nach Slesvig (Schleswig) und machte Spaziergänge, bei denen er die Gegend und nicht zuletzt die dortigen Bewohner kartografierte. Dieses tat er auch in seinem Erwachsenenleben weiter, in dem die meisten seiner Sommerferien dem Studium Sønderjyllands gewidmet waren.

„H.V. Clausen nahm eine detaillierte Überprüfung der Verhältnisse in Sønderjylland und Slesvig vor. Er fragte die Landbesitzer, welche Sprachen sie sprachen, welche Einstellung sie hatten und wer ihre Vorfahren waren“, erklärt Hans Schultz Hansen, Forschungsdirektor im Nationalarchiv in Haderslev und Autor mehrerer Bücher über die Geschichte Sønderjyllands und Schleswig-Holsteins.

Die Überprüfung ergab, dass es, obwohl die Dänen und die Deutschen in ziemlich erträglichen Verhältnissen lebten, immer noch eine unsichtbare Trennlinie gab, in der die Zugehörigkeit der Bürger unterschiedlich war.

„Auf der Grundlage dieser Rundreisen hat er eine Schlussfolgerung gezogen und aufgezeigt, wo die Grenze zwischen den dänischen und deutschen Einwohnern der Region entlangführen sollte“, sagt die Historikerin Sara Hai Abildtrup.

Diese Grenzlinie, die später als „Clausen-Linie“ bekannt wurde, erschien erstmals 1891 in einer wegweisenden Veröffentlichung in Schleswig. Und hier traf er mit den Linien entlang Sønderå, Gammelå und Kruså etwa 30 Jahre vor der Genforening (Wiedervereinigung), was die Nachwelt 1920 erleben sollte. „Die Grenze, die wir heute kennen, ist tatsächlich von der Grenze abgeleitet, die er festgelegt hat“, sagt Sara Hai Abildtrup.

Abbild der Geschichte von H.V. Clausen

Es war ein Schutz gegen die nationalistischen Strömungen aus København. Der Grund, warum dem Københavnerne Sprachliebhaber eine wichtige Rolle in der Frage des Grenzziehens eingeräumt wurde, liegt vor allem in seinen Freundschaften. Im Zusammenhang mit seinen Reisen nach Nordschleswig und insbesondere nach Flensburg freundete er sich H.V. Clausen mit H.P. Hanssen an.

In den 1890er Jahren wurde Hanssen von seinem Sitz im Deutschen Reichstag in Berlin zum Sprecher der dänischen Minderheit gewählt. Als im Herbst 1918 klar wurde, dass die Deutschen im Krieg eine Niederlage erleiden würden, forderte er auf einer Reichstagssitzung die Klärung einer neuen deutsch-dänischen Grenze durch ein Referendum nach Clausens Vorgabe, wozu die Deutsche Reichsregierung zustimmte.

Beim Abschluss des Friedensvertrages von Versailles von 1919 wurde entschieden, dass im Landesteil Slesvig ein Referendum in zwei Abstimmungsregionen abgehalten werden sollte, eine in Nordschleswig und eine in Mittelschleswig. Eine internationale Kommission aus Mitgliedern aus Frankreich, England, Norwegen und Schweden – hier abgebildet – übernahm die Verwaltung und französische Truppen besetzten das Gebiet.

In København waren dänische Politiker jedoch mit diesem Kompromiss besonders unzufrieden. Starke nationalistische Kräfte wie die Dannevirke-Bewegung wollten das Deutsches Reich in die Knie zwingen und eine vor dem Dannevirke (Dannewerk) weit südlicher verlaufende Grenze ziehen, ohne Rücksicht auf die nationale Denkweisen und Sprachen der Bevölkerung.

H.V. Clausen war jedoch ein großer Gegner von dieser Lösung. Als er während der Friedensgespräche nach dem Krieg zur dänischen Regierung geschickt wurde, kämpfte er hart gegen die Forderungen der Dannevirke-Bewegung. Und mit Erfolg.

Nach dem Friedensvertrag von 1919 einigten sich die dänische und die deutsche Regierung mit dem Segen der internationalen Sieger darauf, dass die Clausen-Linie als südliche Grenze der ersten Volkszone in Sønderjylland über das Land abstimmen darf, zu wem sie gehören wollten.

„Clausens Kartierung diente als Schutz vor den nationalen romantischen Bewegungen in København, was ansonsten anzeigte, dass Dänemark die Grenze an der Ejderen (Eider) oder zumindest am Dannevirke haben wollte. Indem man das Gebiet objektiv abbildet, kann man die nationalistischen Interessen mit Fakten belegen. „Und so wurden die Deutschen südlich der heutigen Grenze tatsächlich durch die ,Clausen-Linie‘ befreit, weil die Befürworter Clausens bei weitem nicht so rachsüchtig waren wie die Dannevirke-Bewegung“, sagt Sara Hai Abildtrup.

Das Abstimmungsergebnis von 1920. In rot sind die Abstimmungsbezirke mit dänischer Mehrheit und in blau mit deutscher Mehrheit angegeben. Die Clausenlinie – und die spätere Grenze – ist die gepunktete Linie. Foto: Nationalarchiv

Das Referendum fand statt, um Nordschleswig in zwei Zonen zu unterteilen: die Nordzone 1 und die Südzone 2. Die beiden Zonen wurden durch die „Clausen-Linie“ getrennt. Wenn eine Mehrheit im nördlichen Teil für die Zugehörigkeit zu Dänemark stimmte, würde sie in Zone 2 übergehen und die Abstimmung wiederholen.

Als die Einwohner von Christiansfeld im Norden nach Padborg im Süden nach Als (Alsen) im Osten nach Rømø im Westen am 10. Februar 1920 in der Nordzone ihre Stimme abgegeben hatten, war klar, dass der Gymnasiallehrer aus Frederiksberg mit wenigen Ausnahmen Recht hatte. 74,9 Prozent stimmten für Dänemark und 25,1 Prozent für Deutschland.

Einen Monat später hatte der Gymnasiallehrer wieder Recht, als die nächste Abstimmung in der Zone südlich der Clausen-Linie stattfand. Am 14. März ergab die Abstimmung eine deutsche Mehrheit von 80 Prozent.

Nach einigem Hin und Her und kleineren Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Regierungen konnte die Grenze – nach einigen Interventionen der Internationalen Kommission – von der seit fast 30-jährigen gedachten Linie des Gymnasiallehrers gezogen werden.

Am 15. Juni 1920 trat die Grenzziehung offiziell in Kraft. Und 100 Jahre später ist es ein Beispiel dafür, wie Grenzstreitigkeiten auf nachhaltige und demokratische Weise beigelegt werden können.

„Die Clausen-Linie hat sich als Grenze bewährt, die eine Entspannung der Situation im Grenzland ermöglichte“, sagt Forschungsleiter Hans Schultz Hansen und fährt fort: „Als die Grenze kam, war nicht alles in Ordnung, aber die Grenze wurde so gelegt, dass möglichst viele Menschen zufrieden waren. Es hat also dazu beigetragen, dass keine neuen Grenzen mehr gezogen werden müssen.“

Sogar H.V. Clausen kehrte zu seiner Arbeit als Gymnasiallehrer in Frederiksberg zurück, nachdem seine Arbeit an der Grenzfrage beendet war. Hier unterrichtete er weiterhin bis 1926 Geschichte. Er wurde auf dem Vestre-Friedhof beigesetzt, auf dem sich noch heute sein Grabstein befindet.

Die Abstimmung 1920 verlegte die dänisch-deutsche Grenze von etwas südlich von Kolding nach nördlich von Flensburg.

von

Günter Schwarz – 05.02.2020

Günter Schwarz – 05.02.2020