In der mit fast 390.000 Mitglieder stärksten und traditionsreichen britischen Labour Party ist jetzt nach Bekanntgabe der „Brexit-Volksabstimmung“ auch der offene Kampf ausgebrochen, der seit Freitagmorgen bereits durch das gesamte britische Königreich erschüttert.

Die Schotten wollen eventuell ganz raus aus dem vereinigten Königreich und die Nordiren fürchten einen Rückfall in den Bürgerkrieg, wenn ihre Landgrenze zur Republik Irland EU-Außengrenze werden sollte und somit der Austausch von Waren sowie die Reisefreiheit zur Republik doch erheblich umständlicher werden wird.

Auch durch die sozialdemokratische Labour Party geht ein tiefer Riss zwischen den Brexit-Befürwortern und den Brexit-Gegnern, wobei die Gegner, die für einen Verbleib Großbritanniens in der EU warben und sauch votierten, deutlich in der Mehrheit innerhalb der „alten Arbeiterpartei“ waren.

Jetzt steht der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn, der den Parteivorsitz erst vor 10 Monaten übernommen hatte, unter großer Kritik seiner Kollegen aus der Fraktion, da er sich nicht entschieden genug für den Verbleib des Landes in der EU eingesetzt hatte.

So entließ der Parteichef Corbyn erst vor einigen Tagen nach dem Volksentscheid einen seiner schärfsten Kritiker aus seinem Schattenkabinett, der jetzt prompt den Rücktritt des Parteivorsitzenden fordert.
Schon am heutigenMontag will die Labour-Fraktion des Parlaments über ein Misstrauensvotum gegen Jeremy Corbyn beraten. Dem Parteivorsitzenden – der als einer der EU-kritischsten Vertreter seiner Fraktion gilt – wird vorgeworfen, wie bereits gesagt, sich nicht entschieden genug für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union eingesetzt zu haben.

Viele Labour-Stammwähler hatten für den Brexit gestimmt. Corbyn, der im vergangenen Herbst überraschend an die Parteispitze gewählt wurde und ohnehin wenig Unterstützung unter den Abgeordneten hat, steht nach dem Referendum jetzt noch mehr unter Druck.

Da kam es ungelegen, dass Parteigenosse Hilary Benn, bisher Schatten-Außenminister der Opposition, öffentlich bezweifelte, dass der Parteilinke Corbyn mögliche Neuwahlen in den kommenden Monaten gewinnen könne. „Es gibt kein Vertrauen in unsere Fähigkeit, die nächste Wahl zu gewinnen, die früher als erwartet kommen kann“, sagte Benn. Nach dem EU-Referendum brauche die Labour-Partei „eine starke und effektive Führung, die in der Lage ist, öffentliche Unterstützung zu gewinnen“.


Hilary Benn fordert den Rücktritt von Labour-Chef Corbyn
 
Die Folge: Corbyn enthob Benn seines Postens und entledigte sich so seines schärfsten Kritikers. Aus Protest gegen Benns Absetzung trat am Sonntag Schatten-Gesundheitsministerin Heidi Alexander zurück. „All jene, die am härtesten von dem wirtschaftlichen Schock getroffen werden, den die Entscheidung zum Austritt aus der EU bedeutet, brauchen eine starke Opposition, genau wie die Gemeinden, die Angst haben vor einem Ansteigen von Intoleranz, Hass und Spaltung“, hieß es in einer Stellungnahme.

Heidi Alexander geht davon aus, dass eine „beträchtliche Zahl“ von Kollegen ihrem Beispiel folgen werden. Berichten der BBC zufolge könnte nun die Hälfte des Schattenkabinetts Corbyn den Rücken kehren. Den Anfang machten die Frauen: Die verkehrspolitische Sprecherin Lilian Greenwood kündigte dem Sender Sky News zufolge ihren Rücktritt an. Auch die Bildungsexpertin Lucy Powell stellte am Sonntag ihr Amt zur Verfügung, ebenso die Schatten-Umweltministerin Kerry McCarthy.

Der britische Observer hatte berichtet, Benn plane, Corbyn aus dem Amt zu drängen. Die Unruhe innerhalb der Labour-Partei ist dem Bericht zufolge auch deshalb groß, weil laut einer Umfrage fast ein Drittel der Labour-Wähler aus 2015 angegeben hatten, heute eine andere Partei wählen zu wollen.

Hilary Benn forderte nach seinem Rauswurf den Rücktritt von Parteichef Corbyn. „Er ist ein guter und anständiger Mann, aber er ist keine Führungspersönlichkeit“, sagte Benn der BBC. Corbyn hatte noch am Samstag auf die Frage, ob er gegebenenfalls zur Wiederwahl stünde, gesagt: „Ja ich bin hier.“
„Referendum kippen“

Vereinzelte Stimmen versuchten zu deeskalieren. Die Abgeordneten der Labour-Partei sollten sich beruhigen und zusammenhalten, forderte John McDonnell, der finanzpolitische Sprecher der Partei. „Ich weiß, wie enttäuscht die Leute über den Ausgang des EU-Referendums sind, aber jetzt müssen wir zusammenhalten.“

Die Labour-Abgeordnete Roberta Blackman-Woods bezeichnete Benns Entlassung auf Twitter als „traurige Nachricht“. Ihr sei unverständlich, wie Corbyn glauben könne, „auf diese Art seine sich verschlechternde Position“ in der Partei verbessern zu können.

von

Günter Schwarz – 27.06.2016