Dänemark führt Kampf gegen Lebensmittelverschwendung an
Man kann oder möchte es kaum glauben, aber mehr als ein Drittel aller unserer Lebensmittel verdirbt oder landet im Müll. Angeführt von der engagierten Aktivistin Selina Juul mit einer Vorliebe für Essen, hat Dänemark an Lösungen für das Problem gearbeitet. „UFOs (unidentifiable frozen object)“ zu verhindern, ist eine davon.
„Essen ist Liebe. Wenn wir Essen wegwerfen, werfen wir Liebe weg“, sagt Selina Juul, eine leidenschaftliche 36-jährige Aktivistin aus Dänemark. Die Arbeit ihrer Nichtregierungsorganisation Stop Wasting Food (Stop Spild Af Mad) hat dazu beigetragen, dass Dänemark einen Meilenstein gegen die Lebensnittelverschwendung setzen konnte. Seit 2010 hat es die Verschwendung von Lebensmitteln um ein Viertel gesenkt!
Zahlreiche Strategien
Immer mehr dänische Supermärkte haben „stop food waste areas“ eingerichtet oder sind dabei, diese einzurichten. Dort gibt es Lebensmittel zu sehr günstigen Preisen zu kaufen, die kurz vor dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums stehen. Oder es gibt dort „hässliche“ Kartoffeln oder Karotten, die immer noch für Salate genutzt werden können.
Das Start-Up „Too Good To Go“ bringt hungrige Menschen an Mahlzeiten, die zuvor nicht mehr hätten verkauft werden können. Eine App vermittelt Kunden Restaurants und Bäckereien kurz vor der Schließung. Dann können diese dort noch vorbeischauen und vielleicht eine Dose mit Essen zu heruntergesetzten Preisen füllen.
Die Vermeidung von Abfällen hat auch viel mit dem Wissen über den eigenen Kühlschrank zu tun. Daher möchte Juul, dass die Menschen sogenannte „“UFOs“ vermeiden. „Jeder zweite Däne hatte ein UFO, ein ,unidentifizierbares gefrorenes Objekt‘, in seinem Gefrierfach“, sagt Juul. „Deswegen haben wir eine Kampagne für Konsumenten gestartet, einmal im Monat die UFOs zu essen.“
„Essen ist Liebe“
Dieses sind nur einige von vielen wirksamen Ansätzen. Dänemark mit seinen 5,7 Millionen Einwohnern hat mehr Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung als irgendein anderes europäisches Land. Das ist größtenteils Juuls Organisation zu verdanken.
Die Gründerin ist durch diese Initiative zu etwas wie eine nationale Ikone geworden. 2016 erhielt sie erhielt den Womenomics Influencer Award. Sie gehört zum Who’s Who Dänemarks und wurde zur Dänin des Jahres.
Ausgestattet mit einer grünen Schürze und einer unwiderstehlichen Leidenschaft für Lebensmittel hat sie es geschafft, Millionen Dänen zu begeistern. „Es ist eine Bottom-Up-Initiative“, erzählt sie der Deutsche Welle.“ Wir mobilisieren zunächst möglichst viele Leute, und die Leute mobilisieren dann ihreseits wiederum die Industrie sowie Supermärkte, Kantinen und Restaurants.“
„Das ist wie eine Spirale – es wächst und wächst und wächst“, sagt sie. Juul und ihre Gruppierung möchten jetzt auch in anderen Ländern tätig werden. Ihr Traum ist, dass das Sorgen um Lebensmittel ein Instrument wird, dass zum Weltfrieden beiträgt.
„Wenn es um die Verschwendung von Lebensmitteln geht, können Menschen übereinstimmen – egal ob reich oder arm, links- oder rechtsorientiert, egal welcher Hautfarbe, Nation oder Religion“, sagt sie. „Essen ist wirklich die eine Sache, die Menschen vereint. Essen ist Liebe.“
Kluge Land- und Wassernutzung im Dienste aller
Für die Umwelt ist die Verschwendung von Lebensmitteln eine Gefahr, denn die Landwirtschaft produziert fast ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Sie nutzt mehr als ein Drittel des kultivierbaren Lands und verbraucht 70 Prozent des weltweit genutzten Trinkwassers.
Im Angesicht des Erwarteten bleibt die Frage offen, wie all diese hungrigen Mäuler gestopft werden können. Die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung liegt also nahe.
Dabei verbinden sich zwei große Vorlieben der Dänen mit diesem Ziel: gutes für die Umwelt zu tun und Geld zu sparen. So hat das „grüne Königreich“ eine Vorreiterrolle eingenommen.
Im September 2016 wird die dänische Regierung sogar einen Fonds zur Förderung von Projekten, die Lebensmittelverschwendung bekämpfen, einrichten. Dieser Fond soll mit einem Volumen von 5 Millionen Dänischen Kronen (etwa 670.000 Euro) ausgestattet werden.
Auf Abfall Wert legen
„Müll ist eigentlich kein Müll“, mahnt Selina Juul. „Ihn zu reduzieren, ist der Schlüssel für das zukünftige Überleben der menschlichen Zivilisation“, erzählt sie der DW.
Juul’s Arbeit wird von der United Nations Food and Agriculture Organization (FAO) gestützt. Die FAO schätzt, dass weltweit ein Drittel des Essens verdirbt oder weggeworfen wird.
Dieses führt nicht nur zu einem Verlust von 940 Milliarden Dollar (850 Milliarden Euro), sondern es sorgt auch für acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen – so viel wie die Emissionen eines großen Staates. Die FAO nennt das „einen Exzess in einer Zeit, in der fast eine Milliarde Menschen hungern“.
Ein neuer Plan gegen Lebensmittelverschwendung
„Es gibt einfach keinen vernünftigen Grund, dass so viel Essen verloren gehen sollte“, sagt Andrew Steer, Präsident und Geschäftsführer des World Resources Institute, gegenüber der DW. Zusammen mit zahlreichen Institutionen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und einiger Nichtregierungsorganisationen hat sein Institute einen Standard für die Messung von Lebensmittelverschwendung entwickelt – das sogenannte „Food Loss & Waste Protocol“.
„Im Moment ist die Lebensmittelproduktion sehr zerstörerisch“, sagt Steer. Sein Institut entwickelte das Protokoll nach dem Motto „was gemessen werden kann, kann auch gemanagt werden“.
„Es ist genauso wie mit dem Treibhausgas-Protokoll vor zehn Jahren“, erklärt Steer. „Um Erfolg bei der Reduzierung von Lebensmittelverschwendung zu haben, müssen wir einen systemischen Ansatz verfolgen.“
Internationale Koalitionen
Das World Resources Institute hat es geschafft, bedeutende Institutionen davon zu überzeugen. Partner sind etwa das Consumer Goods Forum, eine Vereinigung von mehr als 400 der weltgrößten Lebensmittelhändler und Hersteller aus 70 Ländern. Es steht für einen Umsatz von 2,5 Billionen Euro.
Der Weltbauernverband und verschiedene Regierungen stehen außerdem hinter dem Ziel für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die Verschwendung von Lebensmitteln zu halbieren und den Verlust von Lebensmitteln weltweit bis 2030 zu reduzieren.
Auch Dänemark macht in diesen Koalitionen mit. „Verschwendung macht alle ärmer“, sagt Außenminister Kristian Jensen. Beim Global Green Growth Forums (3GF) in København im Juni zeigte er sich überzeugt, dass diese „neue starke Allianz zwischen staatlichen und privaten Akteuren eine effiziente Antwort für die globale Herausforderung der Lebensmittelverschwendung finden“ würde.
von
dpa/Günter Schwarz – 26.07.2016