Streit um Sex mit Kindern: Türkei bestellt auch schwedischen Botschafter ein
Wie so oft reagiert die Türkei gereizt und nervös und sieht ihren Ruf in Gefahr: Nun wurde die schwedische Außenministerin Wallström wegen eines Tweets an den Pranger gestellt, wie zuvor die Regierung Österreichs.
Auslöser war eine schlichte, aber brisante Nachricht auf den Bildschirmen am Wiener Flughafen, die angesichts des gespannten Verhältnisses der Türkei zu Europa in eine weitere diplomatische Eskalation ausuferte. Nach einem vehementen Protest gegen Österreich wurde nun überraschend auch die Regierung Schwedens zur Zielscheibe bissiger Kommentare und Reaktionen Ankaras.
Die Schlagzeile auf dem News-Ticker des Airports, wonach die Türkei Sex mit Kindern unter 15 Jahren erlaube, und entsprechende Meinungsäußerungen seien Ausdruck einer „rassistischen, anti-islamischen und anti-türkischen“ Stimmung in Europa, erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Nach dem österreichischen Geschäftsträger habe man deswegen auch den schwedischen Botschafter in Ankara einbestellt.
Konkreter Anlass dafür sei die Forderung der schwedischen Außenministerin Margot Wallström auf ihrem offiziellen Twitter-Account, dass die Türkei diese Entscheidung ihrer Justizbehörden zurücknehmen müsse. Wallström hatte geschrieben, Kinder bräuchten „nicht weniger, sondern mehr Schutz vor Gewalt und sexuellem Missbrauch“ (Artikelfoto oben).
Die von der Türkei monierte Schlagzeile bezog sich auf ein jüngstes Urteil des türkischen Verfassungsgerichts: Dieses hatte im Juli eine Klausel im Strafgesetzbuch gekippt, wonach jeder Geschlechtsverkehr mit einem Kind unter 15 Jahren als „sexueller Missbrauch“ betrachtet werden müsse. Ein Bezirksgericht hatte in einer Petition bemängelt, dass das Gesetz keinen Unterschied mache zwischen sexuellen Handlungen mit einem Jugendlichen oder einem Kleinkind.
Dem Parlament wurden sechs Monate Zeit gegeben, um das Gesetz über Missbrauch zu reformieren. Die Ehemündigkeit mit 18 Jahren wurde durch das Urteil nicht geändert.
Auch Bürgerrechtsgruppen hatten die Entscheidung kritisiert. Cavusoglu sagte zur Verteidigung, seine Regierung sei entschlossen, Kindesmissbrauch zu bekämpfen, und erklärte, das Justizministerium arbeite bereits an einem neuen Gesetz. Auch das Ministerium selbst beeilte sich klarzustellen, dass die Türkei keineswegs Sex mit Kindern erlaube. Äußerungen wie die Wallströms seien „haltlos, tendenziös und verschleierten die Wahrheit“.
Die am Wiener Flughafen gezeigte Überschrift stammte von einem Bericht der österreichischen „Kronenzeitung“. Ein Sprecher des österreichischen Außenministeriums hatte am Sonntag erklärt, die Regierung nehme die Reaktion der Türkei zur Kenntnis, verweise aber auf die Pressefreiheit.
von
SC/qu (afp, APE, dpa) – 16.08.2016
Das Problem ist, dass die Meldung des Entscheides des türkischen Verfassungsgerichtes weitestgehend falsch in der Presse kommuniziert wurde.
Es muss beachtet werden, dass in der Türkei beim Verfassungsgericht die Entscheidung getroffen wurde, dass sexuelle Handlungen, bei denen 12- bis 15-Jährige beteiligt sind, nur „prinzipiell“ nicht mehr als Kindesmissbrauch zu ahnden sind. Das Gericht begründet diese Entscheidung unter anderem damit, dass bislang bei _allen_ sexuellen Handlungen mit unter 15-Jährigen das gleiche Strafmaß galt. Den Juristen zufolge sind 12- bis 15-Jährige aber fähig zu verstehen, was sexuelle Handlungen sind, während sexuelle Handlungen mit _allen_ Kindern unterhalb dieses Alters ausnahmslos als Kindesmissbrauch anzuklagen sind.
Dabei geht es nicht darum, dass Erwachsene nun straflos Sex mit 12- bis 15-Jährigen haben dürfen. Leider wird das in den mir vorliegenden Berichten und Pressemitteilungen so dargestellt. Fakt ist: Die Entscheidung des Verfassungsgerichts betrifft vorrangig sexuelle Handlungen zwischen Jugendlichen. Bislang galt es juristisch in der Türkei auch dann als “Kindesmissbrauch” durch den Jungen, wenn zwei 14-Jährige Sex miteinander hatten. Das neue Gesetz sieht vor, dass Jugendliche, solange sie beide einverstanden sind mit der Handlung, der Junge nicht als Vergewaltiger angeklagt werden kann. Sollte es kein Einverständnis geben, ist es nicht mehr pauschal Missbrauch von Kindern, sondern der neue Strafbestand, angepasst an das Strafmaß von Missbrauch von Erwachsenen. Wird zukünftig ein Fall von sexueller Handlung mit 12- bis 15-Jährigen angezeigt, wird er also weiterhin verfolgt, aber nicht mehr wie Kindesmissbrauch, wie der Missbrauch von 0- bis 11-Jährigen behandelt. In der Türkei wird Kindesmissbrauch in den meisten Fällen mit lebenslanger Haft geahndet. Jede andere sexuelle Handlung, egal ob mit vermeintlichem Einverständnis, mit Kindern unter 12 Jahren bleibt dabei strafrechtlich Kindesmissbrauch.
Ebenso falsch ist die Darstellung, dass die Türkei damit die Kinderehe begünstige. Das gesetzliche Mindestalter für die Heirat in der Türkei liegt nach wie vor bei 18 Jahren. Gerichtlich kann man, bei Vorlage sinnvoller Begründungen, eine Heirat mit 17 Jahren vollziehen. Ähnlich wie bei uns in Deutschland. Ehen, die unterhalb dieses Alters ohne Sondergenehmigung des Gerichts geschlossen werden, gelten auch in der Türkei weiterhin als illegal.
Das Gesetz, das in der Türkei nun abgeschafft wurde, war ein undifferenziertes, schlecht erarbeitetes Gesetz. So wie diese Entscheidung mit sieben zu sechs Stimmen juristisch getroffen wurde, werden auch Fälle, die davon betroffen sind, juristisch verfolgt.
Das neue Gesetz ist mit Sicherheit kein Freifahrtschein für Pädophile, es ist die Anpassung an internationale Standards. Auch hier in Deutschland ist einvernehmlicher Sex zwischen gleichaltrigen Jugendlichen kein strafrechtlich relevanter Kindesmissbrauch durch den Jungen.
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