Sieben Bundestagsabgeordnete besuchen die Türkei und wollen heute mit deutschen Soldaten in Incirlik sprechen. Die türkische Regierung hob das Besuchsverbot für die Abgeordneten erst auf, als die Bundesregierung die Resolution für rechtlich nicht verbindlich erklärte. Nur unter dieser Vorbedingung sind die Abgeordneten wieder willkommen, aber bei den ersten Gesprächen in Ankara deutet auch schon sich an, die Türkei hat das Besuchsverbot nicht aus reiner Freundlichkeit aufgehoben sondern die Türken haben ganz konkrete militärische Erwartungen an Deutschland.

Yusuf Beyazit redet nicht lange um den heißen Brei herum. Der Sprecher des türkischen Verteidigungsausschusses gibt den deutschen Parlamentariern eine deutliche Mahnung mit auf den Weg nach Incirlik: „Ich hoffe, dass die Ereignisse von 1915 in Zukunft nicht mehr instrumentalisiert werden“, so der Abgeordnete der Regierungspartei AKP.

Beyazit spielt auf die Armenien-Resolution des Bundestags vom 2. Juni 2016 an. Nach langem Ringen hatten sich sämtliche Bundestagsfraktionen darauf verständigt, dass das Parlament die Übergriffe gegen Armenier im Osmanischen Reich vor etwa 100 Jahren als Völkermord bezeichnet. Abhängig davon, welchen Historiker man fragt, kamen damals zwischen 300.000 und mehr als eineinhalb Millionen Armenier ums Leben.

Nach der Resolution verweigert die erzürnte türkische Regierung Bundestagsabgeordneten den Besuch deutscher Soldaten auf dem im Süden des Landes gelegenen Luftwaffenstützpunkt Incirlik, denn die Türkei lehnt die Bezeichnung Völkermord kategorisch ab. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan stellte nach der Resolution sogar die Abstammung türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter infrage und forderte bei diesen einen Bluttest.

Der Bundestag reagiert zutiefst irritiert

Keine Besuche mehr bei der Bundeswehr in Incirlik: Die türkische Haltung sorgt für massive Irritationen im Bundestag. Wie könne der NATO-Partner Türkei das nur machen, fragen Verteidigungspolitiker und erklären, wenn Ankara nicht bald seine Meinung ändere, werde das Parlament gegen eine Verlängerung des Einsatzes stimmen. Deutsche Aufklärungstornados, die seit Januar der Anti-IS Koalition Bilder von Stellungen der Terrormiliz liefern, müssten dann zurück in die Heimat.

Inzwischen hat sich der türkische Zorn gelegt. Es heißt, die Aussage des Sprechers der Kanzlerin, die Armenien-Resolution habe keine rechtliche Bindung für die Bundesregierung, habe Ankara besänftigt. Nun wird wieder gereist: Sieben Mitglieder des Verteidigungsausschusses landeten Montagnachmittag in der türkischen Hauptstadt, um Kollegen des türkischen Verteidigungsausschusses im Parlament zu treffen.


Fragen nach rechtsstaatlichen Verfahren waren nur hinter verschlossenen Türen erwünscht.
Die Enttäuschungen werden abgearbeitet

Zu Beginn des Rendezvous dürfen Medienvertreter noch im Raum bleiben. Nach seiner Einlassung zur Armenien-Resolution macht der AKP-Abgeordnete Beyazit deutlich, dass er sich mehr Beistand der deutschen Politik nach dem Putschversuch Mitte Juli gewünscht hätte.

Schließlich kommt der deutsche Ausschussvorsitzende Karl Lamers (CDU) zu Wort und erklärt, wie sehr die Bundestagsabgeordneten die Möglichkeit einer Reise in die Türkei schätzen würden. Als Lamers seine Hoffnung ausdrückt, dass Zehntausende nach dem Putschversuch inhaftierte oder entlassene Türkinnen und Türken rechtsstaatliche Verfahren bekommen, bittet die türkische Seite die anwesenden Medienvertreter, den Raum zu verlassen.

Weil daraufhin sämtliche anwesenden Bundestagsabgeordneten ihre Position darstellen, bekommen die auf der Pressekonferenz vertretenen türkischen Journalisten beispielhaft vorgeführt, wie Demokratie in Berlin funktioniert. Während SPD-Mann Rainer Arnold fordert, die Türkei müsse ihren Umgang mit Pressefreiheit und Menschenrechten deutlich korrigieren, will der CDU-Abgeordnete Ingo Gädchens eher die Gemeinsamkeiten mit Ankara im Kampf gegen den IS betonen.

Die Sache mit den AWACS

Schließlich fragt eine türkische Medienvertreterin, ob dem Einsatz von in der Türkei stationierten AWACS-Aufklärungsflugzeugen noch etwas entgegenstehe, nachdem nun die Abgeordneten Incirlik besuchen können. Und plötzlich kommt der Verdacht auf, dass die Aufhebung des Besuchsverbots einen ganz anderen Grund haben könnte als die Erklärung des Regierungssprechers zur Armenien-Resolution. Die NATO plant den AWACS-Einsatz seit geraumer Zeit. Wegen der türkischen Besuchsverweigerung drohten deutsche Abgeordnete mit einem Veto. Eine Drohung mit Potenzial, denn die deutsche Luftwaffe stellt ein Drittel des AWACS-Personals.

Die englischsprachige türkische Tageszeitung Hurriyet Daily News unterstützt besagten Verdacht mit der heutigen Schlagzeile, „Deutsche Abgeordnete in Incirlik vor der Entscheidung zum AWACS-Einsatz“. Im Bericht hält die Zeitung fest, dass die Türkei wegen der Besuchserlaubnis für Incirlik davon ausgehe, dass der Bundestag dem AWACS-Einsatz zustimme.

So antwortet der SPD-Abgeordnete Karl-Heinz Brunner auf die Frage der türkischen Journalistin etwas umständlich, dass an der Bündnisfähigkeit Deutschlands in der NATO kein Zweifel bestehen darf, was wohl heißen soll: „Wenn die NATO AWACS-Flugzeuge in die Türkei schickt, sagen die Deutschen ja.“

von

Günter Schwarz – 05.10.2016