Erdoğans Dekret ist ein „Blankoscheck“ für Folter
(Ankara) – Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Menschenrechtsmissbräuche in der Türkei dokumentiert. Sie spricht von Schlägen, sexuellem Missbrauch und Drohungen. Angesichts von Foltervorwürfen während des Ausnahmezustands in der Türkei hat die sie der türkischen Führung Tatenlosigkeit vorgeworfen. Zugleich müsse die Regierung Schutzmaßnahmen gegen Folter wieder in Kraft setzen.
Das forderte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht. Durch deren Abschaffung per Notstandsdekret habe die Regierung den Behörden einen „Blankoscheck“ ausgestellt, um „Inhaftierte zu foltern, und zu misshandeln wie sie wollen“, sagte Hugh Williamson, Direktor der Europa- und Zentralasien-Abteilung.
Schläge, sexueller Missbrauch, Drohungen
HRW dokumentiert in dem Bericht 13 Fälle von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam nach dem Putschversuch vom 15. Juli. Demnach wurden die Insassen mutmaßlich geschlagen, sexuell missbraucht, in schmerzhaften Positionen gehalten und Vergewaltigung von Verwandten angedroht. In mehreren Fällen wollte die Polizei damit offenbar Geständnisse erpressen.
Zu den umstrittenen Maßnahmen, die laut HRW Folter begünstigen, gehören unter anderem die Verlängerung des Polizeigewahrsams von vier auf 30 Tage und die Regelung, dass dem Inhaftierten bis zu fünf Tagen der Kontakt zu einem Anwalt verwehrt werden kann.
„Sie rissen mir die Kleider vom Leib“
Die Menschenrechtsorganisation dokumentiert in ihrem Bericht Foltervorwürfe in Polizeigewahrsam in der Hauptstadt Ankara, in Istanbul, Urfa und Antalya.
Einige Insassen seien wegen des Vorwurfs der Gülen-Unterstützung festgenommen worden, andere wegen mutmaßlicher Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. HRW beruft sich dabei auf Aussagen ehemaliger Insassen, Anwälte und Ärzte.
Ein Insasse in Istanbul berichtete demnach seinem Anwalt: „Sie rissen mir die Kleider vom Leib und zerrissen sie. Sie drohten mir, während sie meine Sexualorgane quetschten und schlugen mich auf widerwärtige Weise. Einer sagte, ich habe deine Mutter hierher gebracht und vergewaltige sie vor dir, wenn du nicht redest.“
Zwingen, Namen zu nennen
In vielen Fällen werde den Insassen die Konsultation eines eigenen Anwalts verweigert. Stattdessen würden Pflichtverteidiger eingesetzt, die oft unerfahren seien und sich leicht einschüchtern ließen. Ärzte seien zudem dazu gezwungen worden, Berichte zu unterschreiben, in denen Folter und Misshandlung verschwiegen werde.
Die Deutsche Welle, die ebenfalls Interviews mit zwei Folteropfern führte, teilte am Dienstag mit, ein 31-Jähriger habe die Zeit in Polizeigewahrsam in Istanbul als „reine Hölle“ beschrieben. „Sie haben uns mit Stricken an unseren Geschlechtsteilen durch den Raum gezogen“, erzählte er.
Man habe ihm vorgeworfen Unterstützer der PKK zu sein. Die Polizei habe ihn zwingen wollen, Namen zu nennen. Eine spätere Beschwerde des Mannes sei ignoriert worden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte bereits in einem Bericht vom Juli Foltervorwürfe gegen die Regierung erhoben. Daraufhin hatte Erdoğan erklärt, es gebe null Toleranz für Folter. Vergangene Woche bemängelte Amnesty, dass die Regierung die Vorwürfe über Folter und Misshandlung nicht ernst genommen habe.
von
Günter Schwarz – 26.10.2016