(Ankara) – Seit dem misslungenen Putschversuch am 15. und 16. Juli in der Türkei kommen nur noch beunruhigende Neuigkeiten aus „Erdoğans Reich”. Momentan ist seine Absicht aktuell, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan sein Parlament über die Todesstrafe abstimmen lassen will, und er geht weiterhin gnadenlos gegen alle Kritiker vor, die er subjektiv betrachtet als solche ansieht. Doch jetzt will er auch noch das Rad der Geschichte zurückdrehen, indem er mit seltsamen Anspielungen Anspruch auf Territorien seiner Nachbarstaaten anmeldet.

„Im Vertrag von Lausanne haben wir Inseln weggegeben (…) Das waren unsere. Dort sind unsere Moscheen, unsere Schreine“, so Präsident Erdoğan in einer Rede am Donnerstag. Es ist nicht das erste Mal und ganz sicher auch kein Zufall. Erdoğan meint damit die griechischen Inseln der Ägäis – Rhodos, Kos, Lesbos und andere. Zusätzlich melden Mitglieder der türkischen Regierung historische Ansprüche auch auf syrische und irakische Gebiete an. Schon jetzt zeigt die türkische Armee in den Nachbarstaaten ohne jegliche Zustimmung der jeweiligen Regierungen ihre Flagge. Im von der Regierung kontrollierten türkischen Fernsehen werden immer öfter Karten benutzt, die die Türkei in den Grenzen von vor dem Lausanner Vertrag von1923 zeigen.

Der Hintergrund dieser Provokationen ist, dass das Osmanische Reich an der Seite des DEeutschen Kaiserreichs kämpfend den Ersten Weltkrieg verloren hatte. Die seinerzeit von den Türken beziehungsweise vom Osmanischen Reich besetzten arabischen Gebiete hatten sich teils selbst befreit. Mit dem Segen der damaligen Siegermächte wurden die Grenzen neu definiert. Die Türken hatten zuvor ihre bis zu 1,5 Millionen armenischen und fast drei Millionen griechischen Landsleute  vernichtet, umgebracht und vertrieben. Natürlich sind diese Gräueltaten aus dem historischen Gedächtnis der Türken gestrichen und daran in irgendeiner Form zu erinnern, wird zumindest mit einer empfindlichen Gefängnisstrafe „honoriert“.

Sollte es niemanden gelingen, Erdoğan und seine Vasallen der AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi / Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) schleunigst zu bremsen, entwickelt sich im östlichen Mittelmeer unmittelbar an den Grenzen zur EU ein neues Krisengebiet, dass mit Sicherheit auch uns allen in der EU direkt angehen wird und darüber hinaus sogar den Weltfrieden insgesamt gefährden kann. Die sogenannte Partei für Gerechtigkeit hat schon lange nicht das Geringste mehr mit Gerechtigkeit zu tun, und aus dem Aufschwung der der Türkei ist für jeden ersichtlich spätestens seit dem Putschversuch ein kräftiger Abschwung geworden, der dem türkischen Volk noch viel abverlangen wird.

von

Günter Schwarz  – 01.11.2016