(Heidelberg) – Vor dem CDU-Parteitag stellt sich die Kanzlerin der Basis. Sie wird kritisiert, gelobt und auch mit harten Vorwürfen konfrontiert. Dann sorgt ein zehnjähriger Flüchtlingsjunge für bewegende Momente auf der CDU-Regionalkonferenz in Heidelberg und löst die Spannung auf. Der junge ergreift das Wort und dankt Angela Merkel. Die Kanzlerin, die noch kurz zuvor wegen ihrer Flüchtlingspolitik scharf kritisiert wurde, verlässt darauf das Podium und umarmt den weinenden Jungen.

Nachdem die Bundeskanzlerin von den CDU-Vertretern aus den Landesverbänden Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen harsch kritisiert worden war und sich bereits Unruhe und Empörung ausbreitete, blieb die Kanzlerin stoisch ruhig und hörte sich an, wie der Ton eines alten Mannes am Mikrofon ganz ruhig klang, der seine Worte dagegen schneidend scharf formulierte. „Frau Bundeskanzlerin, treten Sie zurück“, forderte Ulrich Sauer aus Karlsruhe und schaute zur CDU-Vorsitzenden hoch, die vor ihm auf dem Podium in der Heidelberger Stadthalle saß. In der Flüchtlingskrise habe sie als Kanzlerin versagt und einen „deutschtümelnden Wahn“ ausgelebt, warf er ihr vor.

Aber dann kam ein kleiner Flüchtlingsjunge aus Afghanistan mit seinem rührenden Auftritt in Heidelberg und hat die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel gedankt. Auf der Regionalkonferenz sagte der kleine Edris vor Hunderten CDU-Mitgliedern am Montagabend „Ich danke Ihnen, Frau Merkel“ ins Mikrofon.

Außerdem wollte er der Kanzlerin gerne einmal die Hand schütteln. Merkel lobte: „Du hast aber schon gut Deutsch gelernt.“ Sie ließ sich nicht lange bitten und eilte vom Podium herunter. Den kleinen Edris rührte das so, dass er sich ein paar Freudentränen aus den Augen wischen musste.

#Merkelstreichelt-Kritik nach Reem-Auftritt

Der Auftritt weckt Erinnerungen an die Tränen des palästinensischen Mädchens Reem im Juli 2015. Bei einem Bürgerdialog in Rostock hatte die damals 14-Jährige von ihrem Schicksal erzählt. „Es ist wirklich sehr unangenehm zuzusehen, wie andere das Leben genießen können und man es selber halt nicht mitgenießen kann.“ Und: „Ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussieht.“

Merkel antwortete, Deutschland könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen. Daraufhin fing Reem, die mittlerweile einen bis Oktober 2017 gültigen, sogenannten Aufenthaltstitel bekommen hat, an zu weinen. Die Kanzlerin war darauf zu ihr gegangen und hatte ihr die Wange gestreichelt.

Dennoch wurde der Kanzlerin Kaltherzigkeit vorgeworfen, vor allem in den sozialen Netzwerken. Unter dem Hashtag #merkelstreichelt empörten sich die Twitterer seitdem über den herzlosen Paternalismus der Kanzlerin, die bei ihrem Trostversuch unbeholfen wirkte.

Heftige Kritik an Flüchtlingspolitik

Bei der Regionalkonferenz in Heidelberg wirkte Merkel deutlich natürlicher. Inhaltlich hatte sie zuvor ihre Flüchtlingspolitik gegen heftige Kritik verteidigt. „Ja, wir helfen denen, die unsere Hilfe brauchen, weil sie vor Krieg, Verfolgung und Terrorismus fliehen“, beharrte Merkel. „Und das haben wir in bewundernswerter Weise gemacht.“ Sie betonte gleichzeitig, dass Asylbewerber, die nicht dauerhaft in Deutschland bleiben könnten, in ihre Heimatländer zurückkehren müssten. Dafür erntete sie nur freundliche Worte und Unterstützung wie schon in Neumünster am Freitag.

Letztlich wirkte der Abend in Heidelberg wie ein Symbol für das, was ihr und wohl allen Parteien im Bundestagswahl 2017 bevorsteht. „Das wird kein Kuschelwahlkampf, sondern ein harter Kampf“, warnt auch Strobl. Seit Wochen mahnt Merkel ihre Parteispitze, dass es dabei entscheidend auf den Ton ankomme, um die von Rechts- und Linksaußen nur gewünschte Polarisierung zu verhindern. „Diese Art von Wahlkampf will ich nicht“, betonte sie mit Verweis auf den hasserfüllten US-Präsidentschaftswahlkampf und erntete in Heidelberg großen Applaus.

von

Günter Schwarz – 29.11.2016