Begleitet von Forderungen und reichlich Kritik des Koalitionspartners SPD und der Opposition reist die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) heute zu politischen Gesprächen in die Türkei, die mit Sicherheit nicht einfach sind, denn das deutsch-türkische Verhältnis ist nicht erst seit dem Putschversuch im Sommer letzten Jahres mehr als „reichlich getrübt“.

Mit seiner Politik, die Türkei von einer Demokratie in eine islamistisch ausgerichtete Autokratie zu machen, hat der amtierende Präsident Erdoğan in der westlichen Welt einiges Befremden erregt, das der Kanzlerin einiges an Verhandlungsgeschick abfordert, um in Bezug auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei überhaupt etwas zu erreichen. Lapidar kann man sagen, sie begibt sich auf ein politisches „Minenfeld“.

Die Kanzlerin wird in Ankara Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Ministerpräsident Binali Yildirim treffen. Politiker der SPD, der Grünen und der Linken forderten von Merkel deutliche Worte zur Menschenrechtslage in der Türkei. Bei dem Besuch dürfte es auch um die Flüchtlingspolitik und Syrien gehen.

Erster Besuch seit Putsch

Es ist Merkels erster Türkei-Besuch seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli, in dessen Folge sich die Beziehungen der beiden NATO-Partner deutlich verschlechterten. Ankara wirft der deutschen Bundesregierung mangelnde Solidarität nach dem Umsturzversuch vor und beschuldigt sie, den Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen Zuflucht zu gewähren, den die islamisch-konservative Regierung von Erdogan für den Umsturzversuch verantwortlich macht. Auch die Asylanträge türkischer NATO-Offiziere in Deutschland sorgt bei Erdoğan für reichlich Unmut.

Berlin ist seinerseits besorgt über die Repressionen nach dem versuchten Staatsstreich sowie die Verfolgung kritischer Journalisten und der kurdischen Opposition. Die Regierung hatte sich nach dem Putsch zunächst hinter Erdogan und die demokratisch gewählte Regierung gestellt. In den folgenden Wochen äußerte sie sich jedoch kritisch über Einschränkungen der Pressefreiheit und die Entlassung und Inhaftierung Zehntausender Staatsangestellter, die der Beteiligung an dem Putschversuch verdächtigt wurden.

„Überaus wichtiger Nachbar“

Es habe „besorgniserregende Entwicklungen“ im Bereich der Grundfreiheiten gegeben, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert gestern. Zugleich betonte er, dass die Türkei für Deutschland wie für Europa ein „überaus wichtiger Nachbar und auch ein überaus wichtiger Partner“ bleibe.

Als wichtige gemeinsame Themen nannte Seibert die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens der EU mit der Türkei, den Krieg in Syrien, den Zypern-Konflikt und die Zusammenarbeit in der NATO. Ob Merkel in der Türkei auch Oppositionelle trifft, blieb aus Zeitgründen offen, da sie am Abend noch weiter nach Malta zu Europagipfel reisen wird, wo es auch um die Flüchtlingsfrage gehen wird.

Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz rief Merkel auf, in der Türkei die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze einzufordern. Zugleich sprach sich Schulz gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag-Ausgaben) gegen ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen aus.

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Günter Schwarz– 02.02.2017