(Den Haag) – Die Wahl in den Niederlanden ist neben die noch bevorstehenden Wahlen in Frankreich und Deutschland die erste von drei Abstimmungen in einem EU-Gründungsmitglied in diesem Jahr – und die große Frage dabei ist: Wie weit wird es der islamfeindliche Rechtspopulist Geert Wilders schaffen?

Die Parlamentswahl am Mittwoch in den Niederlanden bleibt bis zuletzt spannend – vor allem auch wegen der Frage, welcher Partei die jüngste diplomatische Krise mit der Türkei genutzt hat. Der Rechtspopulist Geert Wilders versuchte im Wahlkampf immer wieder, Ressentiments gegen die Türkei zu schüren, doch Regierungschef Mark Rutte dürfte mit seiner harten Linie der letzten Tage gegenüber Erdoğan ebenfalls profitiert haben. Abseits davon legten auch die linken Parteien in den jüngsten Umfragen stark zu. Viele der 12,9 Millionen wahlberechtigten Niederländer warten mit ihrer Wahlentscheidung bis zum Wahltag – auch aus taktischen Gründen.

Nachdem lange Zeit der Rechtspopulist Geert Wilders die Umfragen zur Parlamentswahl in den Niederlanden am Mittwoch angeführt hat, könnte nun doch Regierungschef Mark Rutte mit seiner VVD Stimmenstärkster werden. Doch viele Niederländer sind noch unentschlossen, wem sie ihre Stimmen geben sollen. Die Regierungsbildung wird auf jeden Fall eine Herausforderung.

12,9 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. 150 Plätze sind zu vergeben, je nach Wahlbeteiligung und gültigen Stimmen sind für einen Sitz 60.000 bis 80.000 Stimmen nötig, rechnete der Politikwissenschaftler Andre Krouwel von der Freien Universität Amsterdam vor. Damit schaffen es auch viele kleine Parteien ins Parlament, zumindest elf könnten es laut Krouwel auch bei dieser Wahl wieder sein.

Nutzt Rutte Streit mit Türkei?

Die fünf größten Parteien liefern einander ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ruttes rechtsliberale VVD liegt laut Umfragen vom Dienstag mit 17 bis 20 Prozent vorne, konnte zuletzt also aufholen. Wilders’ Partei für die Freiheit (PVV) verlor leicht auf 13 bis 14 Prozent. Aufgeschlossen haben hingegen die Christdemokraten CDA und die Linksliberalen D66, sie könnten laut den Wahlforscher auch jeweils mehr Stimmen als Rutte holen. Die Grün-Linken (GL) liegen nur wenige Prozentpunkte dahinter. Ruttes aktueller Koalitionspartner, die Arbeitspartei (PvdA), scheint hingegen abgeschlagen.


Bei einer „Demonstration“ vor der türkischen Botschaft in Den Haag hielt Wilders drei Minuten ein Transparent in die Luft und widmete sich im Anschluss 45 Minuten den Fragen der Journalisten
BILD: Wahlen-NL1 –

Rutte dürfte also von den jüngsten diplomatischen Verwerfungen mit der Türkei profitieren, auch wenn angesichts der aufheizten Stimmung im Land Prognosen entsprechend schwierig sind. Mit seinem harten Kurs versuchte er einmal mehr, Wilders Stimmen abspenstig zu machen. Wilders machte im Wahlkampf immer wieder Stimmung gegen die Türkei, nur eine Woche vor der Wahl „demonstrierte“ er etwa vor der türkischen Botschaft in Den Haag gegen den Besuch türkischer Politiker.

Regierungsbildung wird wohl schwierig

Die Regierungsbildung dürfte angesichts der Prozentverteilung kompliziert und langwierig werden: Krouwel, der auch die Wahlhilfe Kieskompas konzipiert hat, erwartet eine Mitte-rechts-Regierung, also eine Koalition der VVD etwa mit der CDA und der D66. Allerdings dürfte die Stimmenzahl der drei Parteien laut jüngsten Umfragen für eine Mehrheit nicht ausreichen, womit die PvdA als Mehrheitsbringer grundsätzlich auch Chancen hätte, in die Regierung einzuziehen.

Gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat allerdings auch GL, die von der aufgeheizten Stimmung gegen Ausländer im Wahlkampf ebenfalls profitiert hat. Viele ehemalige PvdA-Wähler wollen laut jüngsten Umfragen der Partei als Alternative für mehr Weltoffenheit ihre Stimme geben. Eine Regierungsbeteiligung Wilders’ schließt Krouwel wie auch alle andere Beobachter aus, schließlich hätten alle großen Parteien eine Zusammenarbeit mit Wilders ausgeschlossen.

Vor allem Linkswähler noch unentschlossen

Vor allem die Linkswähler sind laut Krouwel noch unentschlossen. 40 Prozent sagten vergangene Woche, sie wüssten noch nicht genau, welcher Partei sie ihre Stimme geben – im Gegensatz zu den Sympathisanten der Rechten, die meist weniger flexibel sind. Mehr als jeder zehnte Wähler treffe überhaupt erst am letzten Tag eine Entscheidung, sagt Krouwel, vier Prozent der Wähler überhaupt erst, wenn sie den Wahlzettel vor sich haben.


Der Sitz der niederländischen Regierung in Den Haag – im Turm links der Arbeitsraum des Premiers
Die Wahlentscheidung hängt laut Krouwel einerseits von den Inhalten und der Ideologie ab, andererseits gebe es auch ein starkes taktisches Element – wohl auch ein Grund, warum die GL zuletzt so stark wurde. Viele in den Niederlanden befragte Wähler nannten sie als Alternative zu den Sozialisten. Der PvdA wird dabei laut Krouwel ihre bisherige Regierungsbeteiligung zum Verhängnis, viele Wähler seien enttäuscht, wie die Arbeitspartei in der Krise agiert habe.

Wilders treibt alle vor sich her

Dominierende Themen der Wahl waren Immigration, Integration und Terror – alles Themen von Wilders, über die in weiterer Folge auch andere Parteien gesprochen haben. Die VVD und die CDA hätten sich dabei immer weiter Wilders angenähert, sagt Krouwel, und dabei auch Punkte aufgenommen, die mit den Grundwerten der Niederlande im Widerspruch stehen.

Es widerspreche etwa der Verfassung, Niederländern wie von der VVD gefordert die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das ehemalige VVD-Mitglied Wilders beeinflusse mit seiner Anti-EU-Politik aber auch die linken Parteien, die jetzt argumentieren würden, dass man Menschen aus bestimmten Ländern in der EU daran hindern müsse, in den Niederlanden arbeiten zu dürfen. Das widerspreche der ganzen Idee des freien Marktes.

Dass es unter Rutte in welcher Regierungskonstellation auch immer zu einem „Nexit“, also einem Ausstieg der Niederlande aus der EU, kommt, hält Krouwel für unwahrscheinlich. Trotz der von Wilders geschürten Skepsis sehe die Mehrheit die Vorteile der EU, zudem seien die Niederlande ein Exportland. Es gebe allerdings auch Kritik, etwa am Umgang mit der Wirtschaftskrise. Es wird sich zeigen, wohin die nächste niederländische Regierung das Land steuern wird.

von

Günter Schwarz – 15.03.2017