(Groß Grönau) – Groß Grönaus Kirche ist nach dem Heiligen Willehad benannt, der zur Zeit Kaiser Karls des Großen als Missionar zwischen Weser und Unterelbe wirkte. Als Bischof von Bremen starb er am 8. November 789 n.Chr. und wurde später im Dom zu Bremen beigesetzt.

Die Kirchengemeinde und der Kirchort Groß Grönau wurde damals als „Gronowe“ zum ersten Mal im Zehnregistere von 1230 des Ratzeburger Bischofs als zugehörig zum Kirchspiel Krummesse urkundlich erwähnt.

Die Kirche des Ortes ist ein einschiffiger Backsteinbau des mittleren und späteren 13. Jahrhunderts. Er besteht aus einem frühgotischen überwölbten Kastenaltarraum mit Ecklisenen, Sockel und Fries, östlicher Dreifenstergruppe, blendengeziertem Giebel und Südportal mit neuerem Vorhaus davor sowie einem hochgotischen drei Joch langen Kirchenschiff mit vier kräftigen Stützpfeilern, zweiluchtigen Fenstern, Südportal, Westportal und Westgiebel mit dem Rest einer stattlichen Blendengliederung. Nördlich am Altarraum ist ein kleiner verputzter Gruftanbau in klassizistischen und gotisierenden Formen, der vermutlich um 1815 errichtet wurde.

Schon im Jahre 1934 wurden in der Kirche neben den Weihekreuzen auch Wandmalereien entdeckt, deren Bestand auf historischen Fotos von 1934 festgehalten ist. Freilegungsproben im Jahre 2002 zeigten allerdings, dass bei den Wandmalereien an den Chorwänden die Malschicht stark reduziert und in ihrer Farbigkeit sehr blass ist (Kalkmalerei), so dass eine Freilegung sich nicht unbedingt aufdrängt.

Anders sieht das schon bei den Wandmalereien an der nördlichen Chorbogenwand in derWestseite aus. Die Restauratorin kam in ihrem Untersuchungsbericht im Jahre 2002 zu dem Schluss: „Die Darstellung der Madonna mit dem Christuskind ist nahezu vollständig erhalten. Insgesamt könnte diskutiert werden, ob die Madonna mit dem Kind trotz reduzierter Malschicht freigelegt werden sollte, da sie noch weitgehend in ihrer Komposition erhalten ist und für sich einen geschlossenen Abschnitt darstellt. ………… Die Kirche ist heute in ihrer Ausstattung sehr schlicht gehalten, so dass eine exemplarische Freilegung einen Hinweis auf die ehemals prächtige Ausstattung der Kirche geben könnte.“

Nun wurde dieser Traum wahr für die 48-Jährige Restauratorin Eva Kümmel. Millimeter für Millimeter trägt sie mit einem kleinen Pinsel Lack auf die silber schimmernden Stellen der Tapete auf. Die Hand ruhig, der Blick konzentriert, um sie herum alles still. Eva Kümmel arbeitet mitten im Altarraum, umgeben von einer prunkvollen Kanzel und dem Kreuz Jesu. Quer auf dem Fliesenboden liegt alles, was sie braucht, darunter eine Mischpalette mit erdigen Farbtönen, ein metallener Spachtel und viel Watte. Mit Hilfe einer Lupenbrille trägt sie jeden Pinselstrich genau auf. Neun Jahre hat die Restauratorin auf die Goldtapeten der St. Willehadkirche in der Gemeinde Groß Grönau gewartet..

Reatauration der Goldtapete in der Kirche St. Willehad in Groß Grönau

2010 fehlte der Kirche noch das Geld für eine vollständige Restaurierung. Nun wird sie von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt, und so bearbeitet Kümmel seit Dezember 2018 die Ledertapeten an der Innenseite der Kanzeltreppe. Inzwischen kennt sie die Goldledertapeten der der Kirche recht genaue und fühlt sich mit ihnen verbunden. „Die sind etwas ganz Besonderes, und das empfinde ich auch so, weil sie von dem Stifter vermutlich hier an dem Ort angebracht worden sind“, sagt sie.

Ihre genaue Herkunft der Tapete ist bis heute unklar. Auf der Außenseite der Kanzel steht aber, dass die Ledertapeten im 17. Jahrhundert vom ehemaligen Herzog von Sachsen-Lauenburg, Franz Erdmann, gestiftet worden sind. Durch Licht und Feuchtigkeit hat sich ihr Zustand mit den Jahren allerdings verschlechtert. Teile des Goldlacks sind ausgebleicht und verschmutzt. An einigen Stellen sind die 25 Einzelstücke gerissen. Dennoch findet Kümmel, dass die Goldledertapeten insgesamt noch gut erhalten sind.

Vorsichtig streift sie mit den Fingerkuppen über die bunten Blüten und muschelförmigen Prägungen – und prüft die abgenutzten Flächen am Leder. An manchen Stellen leuchtet der Grund noch in satten Goldtönen, andere sind matt und farblos. Die silberne Unterschicht schimmert überall dort durch, wo der dünne Goldlack sich abgelöst hat. Einige Risse und Narben hat die Restauratorin schon mit einem speziellen Leder unterlegt. Viele weitere Stellen warten noch darauf, von ihr verarztet zu werden.

Die mühsame Arbeit ist für Restauratorin Eva Kümmel ist auch eine Art der Entspannung. Die immer gleichen Tätigkeiten haben für sie eine fast meditative Wirkung.

Schon früh entdeckte Eva Kümmel ihre Leidenschaft für Restaurierung und Kunstgeschichte. Ihre Vorbilder kommen aus der eigenen Familie. Die Großmutter war Kunsthistorikerin, der Vater sammelte chinesische Kunst und half in seiner Jugend im Museum aus. Dort durfte er auch in der Restaurierungswerkstatt mitarbeiten.

Nach ihrem Studium als Textil-Ingenieurin wurde Kümmel klar, sie will keine Ingenieurin sein, sondern handwerklich arbeiten. Es folgten zwei Jahre Volontariat in einem Museum und das anschließende Studium der Restaurierung. Seit 2001 betreibt Kümmel eine Werkstatt in Lübeck und lebt dort mit ihrem Mann und ihren drei Kindern. Um für ihre Kinder da sein zu können, teilt sich die Freiberuflerin ihre Arbeitszeiten selbst auf. Einen Großteil ihrer Aufträge bekommt sie von Museen oder Kirchen. Dabei kümmert sie sich um verkommene Fahnen, Klingelbeutel, Ledertapeten oder Kostüme.

Die Arbeiten an den Objekten sind oft mühsam und kleinteilig – für manch einen undenkbar, für die dreifache Mutter aber eine Möglichkeit, sich zu entspannen: „Da gibt es häufig so Tätigkeiten, bei denen man sehr viel Gleiches machen muss. Das ist fast wie meditieren.“ Aber auch nur fast, denn trotz sich wiederholender Vorgänge wie dem Reinigen der Tapeten oder feinsten Pinselstrichen muss Kümmel sich immer wieder auf unerwartete Probleme einstellen.

So ist es auch bei den Goldledertapeten in der St.Willehadkirche. „In dem Bereich oben in der Kanzel ist der Pastor gegengetreten, und es gibt Fettflecken von Händen.“ Fettflecken, die sich nur schwer entfernen lassen und für die Kümmel einen neuen Ansatz finden muss – denn beim Reinigen darf der Goldlack nicht beschädigt werden. In sehr schwierigen Ausnahmen sucht die Restauratorin Rat bei Kollegen. Bei ihrer Arbeit in Groß Grönau ist Kümmel aber auf sich allein gestellt. „Das ist halt oft so, dass man alleine vor dem Objekt sitzt. Dass ich dann nicht noch jemanden fragen kann, stört mich sehr.“

Für die 48-Jährige ist es aber kein Grund aufzugeben. In jedes einzelne Detail der Goldtapete investiert sie Zeit und Muße. Bei ihrer Arbeit ist Kümmel perfektionistisch und hat einen hohen Anspruch an sich selbst. Die Goldtapeten muss sie bis Juni fertig restaurieren. „Ich bin immer unzufrieden. Immer. Erst nach ein bisschen Abstand denke ich, ist ja doch ganz gut geworden.“

Nach einer kurzen Pause steigt sie wieder die knirschenden Holzstufen der Kanzeltreppe auf und setzt sich zurück auf ihren Platz. Routiniert greift sie zu ihrem kleinen Pinsel und streicht weiter über die freistehenden Silberschichten. Um sie herum, ist wieder alles still.

von

Günter Schwarz – 16.02.2019