E-Mails, Bücher, den Beipackzettel eines Medikaments: Den meisten von uns erscheint es ganz selbstverständlich, lesen zu können. Analphabeten, so glauben wir, gibt es höchstens in den Entwicklungsländern – dort, wo viele Kinder nicht in die Schule gehen können. Doch das ist falsch: Auch bei uns in Deutschland können Millionen Erwachsene nicht richtig lesen und schreiben.

In Deutschland, das besonders in konservativen und rechten politischen Kreisen gern noch als Land der „Dichter und Denker“ bezeichnet wird, können 6,2 Millionen Erwachsene kaum lesen und schreiben. Das geht aus einer Studie hervor, die die Universität Hamburg mit Fördermitteln des Bundesbildungsministeriums durchgeführt hat.

Leser, die des Lesens und Schreibens mächtig sind, können dieses Ergebnis beim Lesen von Kommentaren bezüglich der Rechtschreibung und dem Eingehen auf Themen von veröffentlichten Text in den Sozialen Netzwerken nicht nur betätigen, sondern so manche unter ihnen befürchten sogar, dass dieses Studienergebnis nur die Spitze eines „Eisbergs“ anzeigt, und die Zahl der Analphaten im Volk tatsächlich erheblich höher sein dürfte. Die Rechtschreibung ist mehr als häufig geradezu katastrophal, und die Kommentare sind oft ohne Sinn und Verstand!

Laut der Studie der Universität Hamburg ist die Zahl der Analphabeten in Deutschland zwar gesunken – über doch sechs Millionen Erwachsene können immer noch kaum schreiben oder lesen, wovon etwa die Hälfte, also drei Millionen(!) von ihnen deutsche Muttersprachler sind.

Die Betroffenen können der Studie nach zwar einzelne Sätze lesen und schreiben, aber sie sind nicht in der Lage, zusammenhängende Texte zu verstehen. Mit 52,6 Prozent hat mehr als die Hälfte von ihnen Deutsch als Muttersprache. Von den übrigen 2,9 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind mehr als drei Viertel nach eigenen Angaben in der Lage, zumindest in ihrer Erst- oder Muttersprache anspruchsvolle Texte zu lesen und zu schreiben.

Bei einer Vorgängerstudie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2011 waren es noch 7,5 Millionen Menschen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten gewesen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nannte den Rückgang einen „Erfolg für unser Bildungssystem“, für den eine Enttabuisierung von Lese- und Schreibschwächen sowie bessere Lernangebote verantwortlich seien. Sie mahnte aber an: „Politik und Gesellschaft dürfen aber nicht nachlassen.“ sich einer Alphabetisierung zu stellen, koste gerade Erwachsene viel Überwindung. Das Versagen der schulischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen im „Bildungsland“ Deutschland erwähnte die Bildungsministerin allerdings mit keinem Wort,

Für die Studie mit dem Namen „Leo 2018 – Leben mit geringer Literalität“ wurden 2018 etwa 7.200 Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt. Die Studienteilnehmer mussten dazu genug Deutsch sprechen, um der etwa einstündigen Befragung folgen zu können.

von

Günter Schwarz – 07.05.2019