Die Leute meckern zu viel. Dabei geht es uns doch gut, es könnte viel schlimmer kommen. Glück ist relativ, das wusste schon die Tante Jolesch, jene fabelhaft schlagfertige Figur aus dem gleichnamigen Buch von Friedrich Torberg.

Er beschreibt jene untergegangene Epoche vor dem 2. Weltkrieg, als in den Wiener Kaffeehäusern die jüdischen Intellektuellen saßen und über alles Mögliche diskutierten. Nur den Untergang des Abendlandes, der wenig später durch rechtes Gedankengut begann, hatten sie sich nicht vorstellen können. Immerhin saßen sie ja bei Tante Jolesch, die ihnen ihre wunderbaren „Knödeln“ servierte.

Einmal unterhielten sich ihre Gäste jedoch ganz entgegen ihrer Gewohnheit völlig aufgeregt, denn sie hatten erfahren, einer ihrer Freunde hatte einen Unfall erlitten. Es war ihm nichts Schlimmes passiert, er hat noch mal Glück gehabt, sagten die Gäste, und trotzdem kamen sie nicht umhin, sich lebhaft auszumalen, was statt der paar Dellen und blauen Flecke dem Freund noch alles Schreckliche hätte passieren können.

Kleine Unfälle geschehen eben, doch es hätte noch viel schlimmer kommen können. So muss man wohl auch die schleichende Verbreitung des Gedankenguts von Rechtspopulisten unter „ganz (vormals) normalen Leuten“ aus der Mitte der Gesellschaft in vielen europäischen Staaten und so auch in Deutschland betrachten. Während auf der einen Seite die zuvor führende rechte Partei NPD vor dem Bundesverfassungsgericht derzeit um ihr Überleben kämpft, ist auf der anderen Seite schon eine neue rechte Partei entstanden, die binnen nur weniger Monate bereits Erfolge erzielte, von denen die NPD in ihrer bislang 52-jährigen Geschichte nur täumen konnte.

Zusammen mit anderen europäischen Rechtspolisten wie Marine Le Pens Front National, Nigel Farages UKIP, Geert Wilders‘ Partij voor de Vrijheid, Kristian Thulesen Dahls Dansk Folkeparti, Viktor Mihály Orbáns Fidesz /Ungarischer Bürgerbund, Lech Kaczyński s Prawo i Sprawiedliwość usw. kämpfen sie für ein „Europa der Vaterländer“ . Das bedeutet nach „rechtem Verständnis“, Kontakte zueinander zu pflegen, aber keine Vermischung untereinander zuzulassen. Und Roma, Juden, Muslime, Farbige und anderes „fremdes Volk“ müssten nach ihren Plänen möglichst ganz verschwinden. Ein Glück ist wahrlich, dass diese rechtsextremen Irren aller Länder keine Mehrheit haben. Noch nicht. Es ist ein Glück, dass immer noch genügend Menschen zur Wahl gehen, die das anders sehen und anderen Parteien ihre Stimme geben.

Deutschland und der Rassismus

Überhaupt die allgemeine Neigung, den Menschen Vorschriften zu machen, hat in Deutschland eine lange und nicht immer glückliche Tradition. Aber jetzt wollen auch noch andere bestimmen, wie Deutschland mit Rassismus umzugehen hat. Der Europarat legte eine Studie vor und kam darin zu dem Schluss, dass Deutschland nicht genug gegen Rassismus unternimmt und nicht einmal zugeben wolle, dass es ihn im Land überhaupt gebe. Und was war die Reaktion? Weder Polizisten noch Lehrer, Nachbarn, Mitarbeiter in Behörden und Verwaltungen, Fußballfans, Discobesitzer oder Schaffner bei der Bahn sind imstande, rassistisch zu sein. Geschieht hier etwas, worüber sich Menschen beschweren, dann handelt es sich um nur um ein bedauerliches Missverständnis oder um eine kleine Schlamperei. – Nichts Unentschuldbares also!
Gewiss kann so etwas hier und da zufällig passieren. Doch ist es nicht auch ein großes Glück, dass Schwarze, Asiaten und andere Dunkelhaarige und -häutige nicht immer und überall vor derlei Fauxpas’ Angst haben müssen? Sondern nur meistens? In Deutschland sind außerdem ausschließlich nur Nazis Rassisten. Deswegen bekämpft der Staat den ja auch den Rechtsextremismus. Dafür haben wir ja Tausende Verfassungsschützer, die peinlich genau aufpassen, dass bloß nichts wirklich Schlimmes passiert, so wie damals bei der NSU!

Im thüringischen Ballstätt kam es kürzlich zu einem Überfall von Nazis auf eine Kirmes. Zwei Personen wurden dabei schwer verletzt, weitere landeten im Krankenhaus. Sogar der Verfassungsschutz hatte zuvor Kenntnis von dem Überfall erlangt, weil die Telefone der Täter abgehört worden waren. Doch war diese Information so geheim, dass niemand vom Verfassungsschutz die Polizei informierte, um rechtzeitig eingreifen zu können. Das ist also etwas „blöd gelaufen“, aber es hätte auch schlimmer kommen können, wenn der Thüringer Verfassungsschutz selbst mitgemacht hätte, wie es teilweise bei der NSU geschah. Also doch, Glück gehabt!

Die Tante Jolesch mit ihren Knödeln hatte wie immer einen guten Spruch für solchen Wahnsinn auf den Lippen. Sie sagte dann ganz lapidar: „Gott bewahre uns vor allem, was noch ein Glück ist!“ – Das Abendland wird sie damit aber leider nicht retten können.

von

Günter Schwarz – 07.07.2016