Hinter verschlossenen Türen von Justizvollzugsanstalten versuchen Islamisten offenbar, Kandidaten für den Dschihad zu gewinnen. So sollen sich auch die islamistischen Attentäter von Paris erst während ihrer Haft zusammengetan haben. Radikalisierung hinter schwedischen Gardinen – auch ein Problem in Deutschland?

Wer in jungen Jahren hinter Gittern kommt, sieht sich mit Entbehrungen und Kontrollverlust konfrontiert. Experten warnen: Vor allem junge Straftäter laufen Gefahr, in Gefängnissen von Mithäftlingen für die Idee des Dschihads gewonnen und radikalisiert zu werden. Justizvertreter aus Bayern und Baden-Württemberg beraten nun, wie man einer Radikalisierung im Vollzug vorbeugen kann. Und wie ist die Lage generell in deutschen Justizvollzugsanstalten?

Enger Kontakt zwischen Ministerium und JVA

Beim Justizministerium Baden-Württemberg gibt man Entwarnung: „Wir haben aktuell keine Anhaltspunkte für das Bestehen islamistisch-salafistischer Netzwerke in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten“, so Steffen Ganninger, Richter und Pressesprecher des Justizministeriums Baden-Württemberg. Das Ministerium steht mit allen Anstalten in engem Kontakt, die in sogenannten „Strukturerhebungen“ regelmäßig über die Lage vor Ort berichten würden.

Von insgesamt 6.500 Gefangenen bestehe lediglich bei vier Personen radikal-islamistisches Gedankengut – keiner davon ist ist derzeit in der JVA Karlsruhe inhaftiert. „Aktuell ist das kein dringendes Problem“, kommentiert Ganninger, „diese Gefangenen stehen unter besonderer Beobachtung.“ Genaue Angaben, wo diese untergebracht sind, will der nicht machen.

Jeder zehnte Salafist kommt aus Baden-Württemberg

Karlsruhe hat ein anderes Problem: Das Justizministerium erwartet künftig eine Zunahme von Gefangenen mit islamistischem Hintergrund. „Von den 550 Salafisten in Baden-Württemberg rechnen die Sicherheitsbehörden 120 Personen einem gewaltbereiten dschihadistischen Milieu zu“, heißt es vonseiten des Pressesprechers weiter. Bundesweit geht der Verfassungsschutz von rund 5.500 Salafisten aus – das bedeutet, dass jeder zehnte aus Baden-Württemberg stammt.

Gleichzeitig hielten sich nach aktuellen Informationen des Innenministeriums zufolge rund 30 Dschihadisten aus Baden-Württemberg in Syrien oder im Irak auf. Um für diese Entwicklung gewappnet zu sein, müssen bisher zur Verfügung stehende Instrumente zur Vorbeugung, Erkennung und Verhütung von Radikalismus im Vollzug überprüft und gegebenenfalls ausgeweitet werden, meint der Pressesprecher.

Wie Radikalismus erkennen?

Doch wie soll man die Radikalisierung erkennen? Momentan werden Vollzugsbedienstete durch Schulungen und eine „Indikatorenliste“, in der typische Anzeichen für islamistische Entwicklungen aufgezeigt werden, für die Problematik sensibilisiert. „Diese Einschätzung wird auch gestützt durch entsprechende Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz“, erklärt der Pressesprecher. Islamistische Tendenzen zu erkennen sei ein regelmäßiger Bestandteil des Vollzugsdienstes und eines landesweiten Fortbildungsangebotes.

Und was passiert, wenn ein Häftling versucht, andere für den Dschihad zu gewinnen? „“Wenn wir Hinweise für eine radikalisierende Beeinflussung von Mitgefangenen erhalten sollten, können die Anstalten Gefangene mit Sicherungsmaßnahmen belegen“, beschreibt Ganninger das Vorgehen, „zu diesen möglichen Sicherungsmaßnahmen gehört auch die abgesonderte Unterbringung von einzelnen Gefangenen.“

Die Einschätzung ist allerdings nicht immer einfach. „Einerseits müssen wir eine Radikalisierung unter Gefangenen zuverlässig erkennen und wirkungsvoll unterbinden“, so der Pressesprecher, „auf der anderen Seite dürfen wir aber nicht den Fehler begehen, alle Gefangene muslimischen Glaubens unter Generalverdacht zu stellen. Denn diese tragen nicht per se ein islamistisches Gedankengut in sich.“

von

Günter Schwarz – 12.07.2016