Nach dem Putschversuch von der vergangenen Woche kündigte Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch an, über die Türkei für drei Monate den Ausnahmezustand ausrufen zu wollen.

Er kündigte diese Maßnahme in einer Live-Übertragung im Fernsehen nach einem Treffen mit dem Nationalen Sicherheitsrat in der Hauptstadt Ankara an, bei der der türkischen Führer sagte, diese Entscheidung ist nicht gegen bestehende Gesetze gerichtet und sie verstößt gegen keine demokratischen Freiheiten.

„Der Zweck der Ausnahmezustand ist es, am effektivsten und schnellsten Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um der Gefahr zu entgehen, die Demokratie in unserem Land beseitigen zu wollen“, sagte er der Anadolu Nachrichtenagentur.

Erdogan vermutet, der Putschversuch sei möglicherweise noch nicht beendet, und es könnte sein, das es noch „mehr Pläne“ gebe, um gewaltsam die Macht im Land an sich zu reißen, meldet AFP.

Er fügte dann noch unmißverständlich hinzu, dass die europäischen Staaten nicht das Recht hätten, seine Entscheidung zu kritisieren, den Ausnahmezustand auszurufen.

Schon am Tag zuvor wies der türkische Präsident den französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault zurecht und sagte „sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern zu sollen“, nachdem Frankreich Ankara vor dem harten Vorgehen gewarnt hatte, welches dem gescheiterten Putsch  bis jetzt folgte. „Wenn er eine Lektion in Demokratie braucht, kann er sich sehr leicht eine Lektion in Demokratie von uns holen“, sagte Erdogan in einem Interview mit Al Jazeera.

Erdogan erklärte, die laufende „Säuberung“ im Land ist als Versuch anzusehen, die Putschisten zu bestrafen und deren Anhänger dingfest zu machen. Ferner ist es seine Aufgabe, die Streitkräfte, das türkische Militär, von seinem „Virus“ zu befreien, von dem es befallen ist.

Im seinem Interview mit Al Jazeera sagte der türkische Führer ferner, er und seine Regierung würden es nicht zulassen, dass eine „Minderheit“ über die „Mehrheit“ dominiert. „Solange wir den Menschen unsere Hände reichen und sie begleiten, können ihnen die Panzer nichts antun“, sagte er.

Der Ausnahmezustand tritt in Kraft, sobald er im „Türkei Amtsblatt“ veröffentlicht sein wird, heißt es in der „Resmi Gazete“ und bei „Reuters“.

Im Rahmen des Ausnahmezustandes werden der türkische Präsident und seine Minister ermächtigt, das Parlament bei der Verabschiedung neuer Gesetze zu umgehen. Rechte und Freiheiten im Land können auch begrenzt oder ausgesetzt werden, wenn die Regierung sich dazu entschließt, meldete die Nachrichtenagentur „Reuters“.

Erdogan „spielt seine letzte Karte“ aus, in einem Versuch, das Land in seinen festen Griff zu bekommen und all jene loszuwerden, die nur die geringste abweichende Meinung haben, glaubt Dr. Maged Botros, Professor für Politikwissenschaft an der Helwan University in Kairo.

„Erdogan will das Osmanische Reich wieder zu beleben … so braucht er intern einen sehr festen Griff auf das Land, auf den Staat und auf alle Regierungsmitglieder“, sagte Botros. „Dieses ist ein Schritt, der nicht mehr umzukehren ist, denn es ist ein geteiltes Land, in dem ein Zustand der Angst herrscht. Er teilte seine Nation, und damit hat er seine letzte Karte ausgespielt – um das zu bekommen, was er von Anfang an wollte: alles gewinnen oder alles verlieren.“

Der Versuch des Militärputsches am 15. Juli, die Macht im Land zu ergreifen, während Erdogan im Urlaub im türkischen Urlaubsort Marmaris war, scheiterte kläglich aus verschiedenen Gründen.

Tausende Menschen gingen auf die Straßen von Ankara und Istanbul und demonstrierten gegen und für Erfogan. Nach Erdogans Angaben wurden 246 Anhänger der Regierung getötet und mindestens 24 Putschisten wurden getötet.

Zehntausende haben nach dem gescheiterten Putsch bereits ihre Arbeit verloren oder wurden in Haft genommen Rund 60.000 Menschen stehen unter Verdacht direkt oder indirekt am Putschversuch beteiligt gewesen zu sein.

Deshalb hat die groß angelegte Säuberung bei den staatlichen Institutionen Justizbeamte, Beamte aus allen Behörden, Polizei und sogar Beschäftigte im Bildungsbereich aus Schulen und Hochschulen betroffen.

Erdogan und die Regierung klagen den in Pennsylvania wohnenden muslimischen Kleriker Fethullah Gülen wegen des Putschversuchs an und verlangen dessen Auslieferung aus den USA.

von

Günter Schwarz  – 21.07.2016