Die Türkei hat bestätigt, dass sie bereit ist, Verhandlungen über den Bau der „Turkish Stream“-Erdgaspipeline mit Russland wiederaufzunehmen. Das sagte der stellvertretende russische Premierminister Arkadi Dworkowitsch am Dienstag, nach einem Treffen der Vertreter des russischen und des türkischen Energieministeriums.

Die Frage nach der Errichtung der Pipeline, die russisches Erdgas für den europäischen Markt in die Türkei transportieren soll, könnte nach diesem Treffen geklärt werden, sagte Dworkowitsch.

Laut dem Minister diskutierten die Beteiligten auch den Status des AKW-Projekts im türkischen Akkuyu:

„Wir diskutierten einige Investitionsprojekte, darunter das Atomkraftwerk in Akkuyu. Dabei machten wir bereits einige Fortschritte. Der notwendige Rechtsrahmen dafür wurde von der türkischen Seite geschaffen. Wir erwarten, nun schnell voranzuschreiten.“

Turkish Stream und das AKW-Projekt in Akkuyu stellen für die Türkei, aber auch für Russland Megaprojekte im Energiesektor dar, die zu einer Festigung der Zusammenarbeit beider Staaten im wirtschaftlichen Bereich führen werden. Vor allem könnte Turkish Stream das politische Standing Russlands und der Türkei gegenüber der Europäischen Union stärken, die beiden Staaten gegenüber nicht selten in lautstarker Weise westlichen Maßregelungsdrang an den Tag legt.

Bereits im Jahr 2014 hat Moskau mit der Verlegung erster Pipelineabschnitte in das Schwarze Meer begonnen. Nachdem die türkische Luftwaffe einen russischen Bomber vom Typ Su-24 im türkisch-syrischen Grenzgebiet im November 2015 abgeschossen hatte, wurde das Projekt vorerst auf Eis gelegt. Die Türkei baute unterdessen zusammen mit Aserbaidschan an einem eigenen Pipeline-Projekt. In einigen Jahren möchte Ankara kaspisches Erdgas von den Küsten Aserbaidschans mittels der Transadriatischen Pipeline in Europa an den Mann bringen. Die Türkei möchte ihre Energieallianz darüber hinaus auf den zentralasiatischen Turkstaat Turkmenistan ausweiten. Dafür rief Aschgabat eigens diese Woche zu einer trilateralen Energiekonferenz auf.

Kritiker argumentieren, das Energieprojekt der drei Turkstaaten könne nicht mit den Transportkapazitäten von Russlands Turkish Stream mithalten. Zu Beginn sollen jährlich 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas über die Transanatolische-Pipeline (TANAP) transportiert werden, danach soll die Transportleistung bis 2031 auf 31 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ansteigen.

Vor zwei Jahren unterzeichneten Russlands Gazprom und die türkische Botaş eine Absichtserklärung über Turkish Stream. Demnach werde die 1.100 Kilometer lange Pipeline vier Leitungen mit einer Transportkapazität von jährlich über 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas aufweisen. Alleine 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen dem türkischen Binnenkonsum zu Gute kommen. Die weiteren 47 Milliarden Kubikmeter sollen über Griechenland weiter nach Europa verkauft werden.

Im Jahre 2010 schlossen Moskau und Ankara ein Abkommen über den Bau und Betrieb eines Atomkraftwerks in Akkuyu, das in der türkischen Provinz Mersin liegt. Das Projekt ist 20 Milliarden US-Dollar schwer. Russland errichtet für die Türkei damit das erste Atomkraftwerk mit einer Leistung von 4.800 Megawatt, was zur Diversifizierung des Energie-Warenkorbs Ankaras beitragen wird.

Weder Turkish Stream noch Akkuyu waren Bestandteil der Liste russischer Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei, die Moskau nach dem Kampfjet-Zwischenfall über Ankara verhängt hatte. Die Sanktionen richteten sich vor allem gegen den türkischen Lebensmittel- und Tourismussektor.

von

Günter Schwarz – 30.07.2016