Bisher war in der Türkei Sex mit Kindern unter 15 Jahren strafbar. Nun hat das Verfassungsgericht diese Bestimmung aufgehoben.

Im Juli fiel in der Türkei ein schlimmer Entscheid, den wegen des gleichzeitigen stattfindenden Putschversuchs aber fast niemand mitbekommen hat. Das türkische Verfassungsgericht musste sich mit einem Antrag eines Bezirksgerichts über den sexuellen Missbrauch von Kindern befassen.

Das lokale Gericht hatte bemängelt, dass bei Sex mit Kindern kein Unterschied zwischen den Altersgruppen gemacht werde. Beispielsweise würden 14-jährige Opfer gleich wie ganz kleine Kinder behandelt.

Neue Regelung ab 2017

Das Bezirksgericht argumentierte laut einem Bericht auf „hurriyetdailynews.com“, dass Kinder zwischen 12 und 15 Jahren die Bedeutung eines sexuellen Aktes aber durchaus verstehen könnten. Das bisherige Gesetz schließe ein mögliches Einverständnis zum Sex jedoch aus. Das Verfassungsgericht stimmte dem Antrag mit sieben gegen sechs Stimmen knapp zu und kippte damit das bisherige Missbrauchs-Gesetz. Die Änderung tritt im Januar 2017 in Kraft.

Mit andern Worten: Ab kommendem Jahr fällt der Kinderschutz weg. Sex-Vergehen an Kindern werden nicht mehr speziell, sondern wie bei Erwachsenen geahndet. Täter können so behaupten, dass ein Kind zum Sex einwilligte. Wem wird das Gericht glauben?

Mehr Entführungen, mehr Vergewaltigungen

Der Aufschrei ist groß. Kinderschutz-Organisationen und Frauenvereine wehren sich. Nazan Moroglu, Koordinatorin der Istanbuler Frauenvereine, sagt: „Das wird Kinder gegen sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung wehrloser machen. Es wird noch mehr Mädchen geben, die ohne Ausbildung jung verheiratet werden.“ Schon heute gebe es in der Türkei rund 3,5 Millionen Kinderbräute.

Canan Güllü, Leiterin des Verbands der türkischen Frauenvereinigungen, sagt: „Diese Entscheidung wird zu Zwangsehen führen. Leute werden in der Lage sein, Kinder zu entführen, zu vergewaltigen und jung zu heiraten.“

Die Organisationen versuchen mit allen Mitteln, das Urteil rückgängig zu machen. Sie erwägen auch den Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

von

Günter Schwarz – 13.08.2016