Inzwischen besitzen drei von vier Deutschen ein Smartphone und nehmen es laut einer Studie durchschnittlich 88 Mal pro Tag in die Hand. Wissenschaftler warnen deshalb vor einer Abhängigkeit. Unsere Kommunikation hat sich in den vergangenen 20 Jahren wesentlich verändert, denn dieser „Alleskönner“, der sich aus einem mehr oder weniger großen „Knochen“ aus einem drahtlosen Telefon entwickelt hat, feiert heute seinen 30. Geburtstag.

Heute vor 20 Jahren kam der „Nokia 9000 Communicator“ auf den Markt.

„Natürlich habe ich ein Smartphone“, sagt Gundula Schmidt-Brunn, denn auch mit 91 Jahren ist das für die Hamburgerin selbstverständlich. Seit einem halben Jahr hat sie „dieses Apple iPhone“ – es war ein Geschenk ihrer Söhne an sie. Schon jetzt sei es „unentbehrlich“ für sie, sagt sie. Mindestens eine Stunde pro Tag sitzt Schmidt-Brunn am Smartphone, am liebsten zu Hause in ihrem roten Sessel. Dann schreibt sie ihren sieben Enkeln, die in der Welt verteilt leben – in Neuseeland, Dubai oder Thailand. „Das wäre nicht möglich ohne diesen Apparat.“

Als vor 20 Jahren mit dem „Nokia 9000 Communicator“ das erste Smartphone auf den Markt kam, wünschte sich Schmidt-Brunn zu Weihnachten eine Mikrowelle, bekam aber einen Computer. Das war ihr Zugang in die digitale Welt. Dort muss sie aber ohne die meisten ihrer Freunde auskommen. „Meine Freundinnen sagen: Gott wie schrecklich. Das macht einen ja nervös. Und die sind zehn Jahre und mehr jünger als ich.“

Nicht nur in ihrem Freundeskreis ist Schmidt-Brunn eine Ausnahme, sondern überhaupt in ihrer Generation. Bei jüngeren Menschen wird das Smartphone selbstverständlicher genutzt. Für „digital natives“ ist eine WhatsApp-Nachricht genauso wertvoll wie ein Gespräch beim Kaffee.

„Das Zuviel bringt Probleme mit sich“

Dennoch gibt es Wissenschaftler, die skeptisch auf die „Smartphonisierung“ blicken. So wie der Ulmer Psychologie-Professor Christian Montag. Der Mittdreißiger erforscht, was die neuen Geräte mit den Menschen machen. „Es ist das Zuviel an Digitalem, was die Probleme mit sich bringt“, schreibt Montag. Fragen zu seiner Arbeit beantwortet er derzeit notgedrungen schriftlich – per Smartphone. Für ein Forschungsvorhaben ist er zur Zeit in China. „Da ist die Telefonverbindung häufig leider schlecht“.

Am eigenen Leib erlebt er derzeit die Vorteile der „kleinen Alles-Könner“. Dennoch warnt er: „Smartphones können verhindern, abzuschalten.“ Mithilfe der „Menthal“-App hat Montag zusammen mit anderen Wissenschaftler die Smartphone-Kommunikation untersucht. Das Programm, das rund 50.000 Freiwillige nutzen, zeichnet alle Interaktionen auf. Die Ergebnisse sind für die Nutzer einsehbar. Einige entschließen sich bei einem Blick auf ihre Zahlen zur „digitalen Diät“.


Nokia 9000 Communicator von 1996
„Ständige Unterbrechung, permanente Ablenkung“

Neben den Nutzern können auch die Forscher in die anonymisierten Daten schauen. So fanden Montag und seine Kollegen heraus, dass ein typischer Smartphone-Nutzer täglich 88 Mal aufs Handy schaut. Allein 35 Mal, um zu überprüfen, ob eine Nachricht eingetroffen ist oder nach der Uhrzeit zu schauen. „Ständige Unterbrechungen führen zu permanenter Ablenkung“, schreibt Psychologe Montag. „Das kann in manchen Situationen wie am Steuer lebensgefährlich werden, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nicht dort haben, wo wir sie haben sollten.“

Laut Montag verändert das Smartphone aber auch die Beziehung zu Freunden oder dem Partner. Die seien verärgert, „weil wir den Geräten den Vorzug geben, anstatt im Hier und Jetzt mit unserer Umwelt zu kommunizieren.“ Dem widerspricht die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Angela Keppler von der Uni Mannheim. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Smartphones auf die Gesellschaft und hat festgestellt, dass es kein „Abschotten via Smartphone“ gibt. Die Alltags-Wahrnehmung, dass sich viele Menschen – etwa im Bus – nur noch auf ihr Smartphone fokussieren, sei ein Vorurteil, sagt Keppler.

„Kein Anlass für Alarmismus“

Das Smartphone habe die Kommunikation „mehr als viele der anderen Medien zuvor“ verändert. Dadurch sei sie jedoch nicht schlechter geworden. Tatsächlich werde das Smartphone in alltägliche Gespräche integriert. Während einer Unterhaltung gebe es ein „Hin und Her“, also einen Wechsel zwischen Kommunikation mit Anwesenden und Nichtanwesenden, „zum Beispiel über WhatsApp oder Instagram oder whatever“. So hätten sich persönliche Gespräche verändert. „Inhalte, die wir über Smartphones oder andere Geräte dieser Art abrufen, funktionieren durchaus auch gesprächsbereichernd im Alltag“, sagte Keppler im Deutschlandradio Kultur. Daher sehe sie „keinen großen Anlass für Alarmismus oder negative Aussichten“.

Ob mit oder ohne Smartphone gelte, in alltäglichen Gesprächen verständigen sich Menschen über gemeinsame Normen und Werte. „Wenn wir mit Freunden zum Beispiel über den neuesten Actionthriller im Kino diskutieren, wird es womöglich verschiedene Meinungen dazu geben. Wir vergleichen sie mit unserer eigenen Meinung, bekräftigen sie, revidieren sie oder verständigen uns mit den Gesprächspartnern auf einen gemeinsamen Nenner“, sagt Keppler.

In Deutschland nutzen mittlerweile drei von vier Menschen ein Smartphone. Laut einer Bitcom-Schätzung werden 2016 rund 28 Millionen Geräte verkauft. Der Boom um die Taschencomputer scheint also anzuhalten. Daran glaubt auch Apple-Chef Tim Cook. Erst kürzlich wurde das einmilliardste iPhone verkauft. „Da das Telefon immer stärker dein Assistent wird, gehört es zu den Dingen, ohne die man das Haus nicht verlässt“, sagte Cook jüngst.

von

Günter Schwarz – 15.08.2016