Die neunjährige Emma aus dem Irak schaut in den Schulranzen. Nur noch zwei Tage, dann geht die Schule wieder los: Sie kommt in die zweite Klasse. Seit Januar besucht sie die Grundschule in Heimersdorf bei Köln, nimmt am regulären Unterricht teil. Stolz zeigt sie ihr Leseheft. Deutsch ist ihr Lieblingsfach.

Und auch auf dem Zeugnis ihrer großen Schwester Seba steht dreimal „sehr gut“. Die Vierzehnjährige ist prompt auf dem Gymnasium gelandet, wo sie eine Internationale Klasse besucht. Keine Frage, die Sprache haben sie im Handumdrehen gelernt. Die beiden Mädchen mussten mit ihrer Familie im vergangenen Jahr aus Mosul vor dem IS fliehen, weil sie aramäische Christen sind.

Bildungsstand klafft weit auseinander

Emma und Seba sind keine Ausnahme. Viele Flüchtlinge sind hoch motiviert – je schneller sie in die Schule, in Sprach- oder Integrationskurse kommen, desto besser.

Wenn ein Mensch lange aus dem Berufs- oder Bildungssystem raus ist, verliert er an Selbstbewusstsein, sagt Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): „Im Grunde haben wir in vielen Bereichen ein halbes bis ein ganzes Jahr verloren.“ Ein Angebot an Sprachkursen für Neuankömmlinge wurde zum Beispiel erst Ende vergangenen Jahres aufgebaut, nachdem die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden. Wertvolle Zeit, die verstrichen ist, dabei ist das Bildungspotential der Flüchtlinge sehr unterschiedlich.

Fast die Hälfte war mindestens auf dem Gymnasium

Das zeigt eine erste Analyse des IAB. Danach haben 46 Prozent aller Asylbewerber mit guten Bleibeaussichten ein Gymnasium oder sogar schon eine Hochschule besucht. Darunter sind zum Beispiel Ärzte, die in Deutschland mit wenig „Anpassungsqualifizierung“ Arbeit finden können. 27 Prozent der Geflüchteten haben eine Mittel- oder Fachschule besucht. Und mindestens 25 Prozent der Flüchtlinge waren nur auf einer Grundschule oder haben gar keine Schulbildung.

Diese Analyse stützt sich auf eine Befragung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aller im Jahr 2015 registrierten Asylbewerber mit hohen Bleibeaussichten. 77 Prozent der Asylbewerber beteiligten sich an der Umfrage. Da die Teilnahme freiwillig war, ist allerdings denkbar, dass diejenigen, die nicht teilgenommen haben, ein niedriges Bildungsniveau haben, was den repräsentativen Charakter einschränkt.

Dennoch zeigen die Zahlen aufgrund der hohen Beteiligung eine deutliche Tendenz: Es gibt eine Polarisierung der Flüchtlinge am oberen und unteren Bildungsrand. Das liegt vor allem an der Herkunft der Flüchtlinge: In Ländern wie Afghanistan, wo schon lange Bürgerkrieg herrscht, liegt das Schulsystem brach. In Ländern wie Syrien oder dem Irak war aber das Schulsystem bis zum vergangenen Jahr in vielen Regionen intakt.

Nachholbedarf bei der beruflichen Bildung

Schlechter sieht es allerdings bei der Berufsbildung aus: Laut IAB-Analyse haben etwa 70 Prozent der Flüchtlinge keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dieser Wert ergibt sich aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit und erfasst Arbeitssuchende aus den nicht-europäischen Asylherkunftsländern im Juli 2016. Zum Vergleich: Zum gleichen Zeitpunkt hatten 38 Prozent der deutschen Arbeitssuchenden keinen beruflichen Abschluss.

Der hohe Wert unter den Flüchtlingen geht laut IAB darauf zurück, dass es in deren Heimat kein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland gibt. Nachqualifikationen seien hier wohl gefragt. Aber auch eine neue „Anerkennungskultur der Qualifikationen“, die Flüchtlinge mitbringen, sagt IAB-Forscher Brücker.

Eine solche Nachqualifikation macht auch Majed Barbare, der Vater von Seba und Emma. Er war in seiner Heimat Lkw-Fahrer, hat aber seinen Führerschein in der Hektik der Flucht vergessen. Jetzt wird er ihn auf Arabisch hier nachholen.

Beobachter sehen den Integrationsprozess voranschreiten, wenn auch schleppend: Laut Einschätzung von Arbeitsmarktforscher Brücker werden in einem Jahr zehn Prozent der Flüchtlinge mit hoher Bleibeaussicht in Arbeit sein. In fünf Jahren könnte es voraussichtlich die Hälfte sein.

von

Günter Schwarz – 23.08.2016