Bei der politischen Talkshow der ARD „Hart aber fair“ging es gestern Abend um 21 Uhr um die Konsequenzen aus dem Wahldebakel der CDU bei der letzten Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern vom vergangenen Sonntag. Der Kanzleramtsminister Altmaier (CDU) verteidigte engagiert die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Laut wurde es allerdings, als der ehemalige SPD- und jetzige AfD-Politiker Guido Reil aus Essen zu Wort kam.


„Hart aber Fair“-Moderator Frank Plasberg
Man spürte, dass der Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern das Land verändert hat – nicht nur Mecklenburg-Vorpommern sondern ganz Deutschland.. Das zeigte sich deutloch in der gestrigen „Hart aber fair“-Sendung mit dem Titel „Fluchtpunkt Deutschland – hat Merkel ihre Bürger überfordert?“. Das Klima war aggressiv, mit viel Gestikulieren, Kopfschütteln und höhnischem Gelächter.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier, dem „Talkshow-Sprachrohr“ der Regierung Merkel, merkte man seine Anspannung an. Bei seiner Vorstellung blickte Altmaier nicht mal in die Kamera, sondern wartete mit schiefem Mund auf seinen Einsatz.

Da saß auf einmal ein ganz anderer Altmaier als man aus vergangenen Sendungen kannte. Während er in früheren Talkshows Bedenken zu Merkels Flüchtlingspolitik mit glatten, vorgefertigten Politiker-Sätzen weggewischt hatte, wirkte er nun persönlich engagiert, besorgt und zuweilen sehr aggressiv.

Altmaier verteidigte die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als alternativlos. „Wie hätte man denn reagieren sollen?“, sagte er über jenen Tag vom 4. Auf den 5. September 2015, als die Grenze für syrische Flüchtlinge, die in Budapest festsaßen, geöffnet wurde – und erinnerte daran, dass die Entscheidung nicht allein von Merkel und damit von Deutschland, sondern auch von Österreich getragen wurde.

Die Schließung der Balkanroute hatte nicht den erwünschten Effekt, da weiterhin Zehntausende Flüchtlinge in Österreich eintrafen und nach und nach durch die geschlossenen Grenzen „diffundiert“ seien. Erst durch das Abkommen mit der Türkei seien die Flüchtlingszahlen merklich reduziert worden.

Das alles hatte man schon so oder so ähnlich gehört – aber der Ton war ein anderer. Altmaier war engagiert, aber auch bereit, Fehler und anfängliche Fehleinschätzungen zuzugeben – und erwies so der Regierung Merkel einen größeren Dienst als je zuvor. So sei die vom Kanzleramt erwartete humanitäre Katastrophe nach der Schließung der Balkanroute ausgeblieben, gestand er Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka zu, der ebenfalls anwesend war.

Sobotka sprach zu seinem Bedauern von einem „dauernden Versagen der Europäischen Union“. Wenn die EU versage, müssten eben die Nationalstaaten Lösungen finden und ihre Grenzen schließen – so, wie es Schweden und Dänemark getan haben. „Libyen ist die nächste Katastrophe ante Portas“, warnte er. Dort würden bereits 200.000 Menschen auf ihre Überfahrt nach Europa warten. Sobotka möchte die Flüchtlingskrise möglichst mit Registrierzentren lösen. Migranten könnten beispielsweise auf einer Insel wie Lesbos oder Lampedusa warten, bis über ihre Asylanträge entschieden werde.

Laut wurde es, als der AfD-Politiker Guido Reil zu Wort kam. Der Mann aus dem nördlichen Essener Stadtteil Karnap war 26 Jahre lang SPD-Mitglied und in der Kommunalpolitik aktiv. Zuletzt saß er in der Ratsfraktion der Stadt. Dann verließ er die Partei – und wechselte zur AfD. „Ich bin und bleibe Sozi – in der AfD“, sagte er.

Die Gesellschaft sei inzwischen in „besorgte Bürger“ und „Gutmenschen“ gespalten – und die „besorgten Bürger“ hätten Recht gehabt, stellte Reil fest. Alle ihre Ängste und Sorgen seien eingetreten, und sogar noch schlimmer geworden. So etwas wie die Übergriffe in der Silvesternacht in Köäln und andere Großstädte habe er sich nie vorstellen können. „Tot, Stille, Schweigen“, habe in den Gremien seiner ehemaligen Partei, der SPD, geherrscht, wenn er über die Probleme bei der Integration von Migranten besonders an seinem Wohnort Essen gesprochen habe. „Die Realität wird verweigert – aus ideologischen Gründen!“ Deshalb sei er schließlich zur AfD gewechselt.

„An jedem warmen Sommertag“ komme es zu Problemen in Freibädern. Vor jedem Fest stehe Polizei und in jedem Geschäft Security – und die seien nicht dazu da, Flüchtlingen „die Auslage zu erklären“. „Ohne Ende Polizei“ sehe er überall. Er wolle aber nicht in einem Polizeistaat leben.

„Das ist Propaganda“, empörte sich Altmaier. Es sei „unverantwortlich“, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören. Die Polizei stehe vor Festen und Geschäften wegen der Terrorgefahr. Und die gehe nicht von Flüchtlingen aus, sondern von Menschen, die hier aufgewachsen und teilweise sogar geboren seien. Der AfD-Mann wolle „Hundertausende Flüchtlinge, die hier nur friedlich leben wollen“, in Verbindung mit der Terrorgefahr bringen. Reil verdrehte verächtlich die Augen.

Einen vielsagenden Ausrutscher leistete sich die Politikwissenschaftlerin und SPD-Politikerin Gesine Schwan. Als das Gespräch auf die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silversternacht kam, sagte Gesine Schwan reflexhaft: „Die größte Zahl an sexuellen Übergriffen findet in Familien statt.“ Da war er wieder, der belehrende SPD-Ton, der aus einer anderen Zeit zu stammen scheint!

Gastgeber Frank Plasberg ließ ihr das nicht durchgehen und nahm sie überraschend aufgebracht in die Mangel. Er erinnerte sie daran, dass es 600 sexuelle Übergriffe gab, die erwiesenermaßen vor allem von Nordafrikanern begangen wurden. „War das jetzt nicht Wahlkampfhilfe für die AfD par excellence?“, fragte er. Schwan wusste darauf keine befriedigende Antwort zu geben.

Die Leser, die die Sendung nicht haben anschauen können, bieten wir die Gelegenheit, sich die „Hart aber Fair“-Sendung hier anzusehen, um sich über das Thema „Fluchtpunkt Deutschland – hat Merkel ihre Bürger überfordert?“ selbst ihre Meinung zu bilden:

von

Günter Schwarz – 06.09.2016