Jeder kennt Zitate – schlaue Sprüche von schlauen Leuten, die irgendwann einmal etwas irrsinnig Bemerkenswertes gesagt haben. Man findet solche Zitate in der Literatur, auf Kalenderblättern und mittlerweile im Internet. Sie können motivieren oder ganz einfach zum Nachdenken anregen.

Ich messe vielen Zitaten nur wenig Aufmerksamkeit bei, da sie nicht selten aus dem Zusammenhang gerissen sind und oftmals nur wenig über das Buch oder die Rede des Verfassers vermitteln. Wichtig wäre dann, sich mit dem Kontext des Geschriebenen oder Gesagten auseinander zu setzen. Das ist wichtig. Würde man George R. R. Martin mit »Hodor!« zitieren, greifen sich Fans der Fantasy-Reihe ergriffen ans Herz, während Menschen, die den Zusammenhang nicht kennen, überhaupt nichts mit diesem Zitat anfangen können. Ebenso verhält es sich mit den meisten Zitaten.

Etwas gruselig wird es, wenn historische Zitate, inklusive des entsprechenden Kontext, in der Lage sind, aktuelle Zustände oder Situationen treffend zu beschreiben. Wenn also ein Dostojewski 1864 von einem verbitterten Mann schrieb (Aufzeichnungen aus dem Kellerloch) und man imstande ist, sich selbst in dieser Figur zu erkennen, fragt man sich, was uns Heute von den Menschen, die um 1864 lebten, unterscheidet. Bestimmte menschliche Grundzüge und Torheiten ziehen sich dabei wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte. Wir lernen dazu, sollte man meinen. Tun wir das wirklich?

Nun ist es eine Sache, Verhaltensmuster bei einem literarischen Protagonisten zu entdecken – etwas verfahrener wird es, wenn gesellschaftliche historische Missstände ausführlich beschrieben wurden, die sich eins-zu-eins auf heutige Nachhaltigkeiten übertragen ließen. Wenn also eine Rosa Luxemburg im Zuge der Oktoberrevolution (1917) einen »Parteilobbyismus« kritisiert, der sich ganz ohne Probleme ebenfalls auf die EU-Polit-Elite übertragen ließe, fragt man sich tatsächlich, ob wir Menschen denn gar nichts aus der Geschichte gelernt haben.

Zitat: »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit.«

Das ist sehr abstrakt, mag man nun argumentieren. Doch gewinnt der Wahlsieg der AfD bei dem Zitat einer Gudrun Ensslin (R.A.F.) einen sehr faden Beigeschmack:

Zitat: »Womit ich mich niemals abfinden werde, ist dass sich die Tendenz, in der sich die spätkapitalistische Gesellschaft so ungeheuer deutlich fortbewegt, nämlich hin zum Faschismus. Das kann man wirklich mit einem Auge sehen.«

Wenn also »Systemkritiker« vor vierzig, hundert oder gar noch mehr Jahren auf gesellschaftliche oder politische Missstände hingewiesen haben, die sich bis heute gehalten haben, dann steckt sicherlich mehr dahinter, als eine Torheit. Die Wahrscheinlichkeit läge nahe, dass wir gar nicht lernen wollen. Ganz ebenso wie ich, der ich die liebenswertesten Eigenschaften des Mannes aus dem Kellerloch hege und pflege, obwohl ich es ja besser wüsste.

Der Mensch tritt seit 2000 Jahren auf der Stelle und unterscheidet sich in seinen Wesenszügen kaum von einem Römer, der um 100 n.Chr. den kostenlosen Eintritt in das Kolosseum genoss, um sich an grausamen Spielen zu ergötzen. Heutzutage zahlt man Eintritt, um sich im Kino möglichst blutrünstige Filme anzuschauen – das wäre ein Unterschied. Wein, Weib, Gesang und ein möglichst ausschweifender Lebenswandel hat an Unterhaltungswert allerdings nicht eingebüßt. Die gut erhaltenen Mosaik-Darstellungen aus den antiken Bordellen in Pompeji unterscheiden sich kaum von einschlägigen Fetisch-Partys oder Swinger-Clubs am Stadtrand von Bielefeld.

Viele Menschen messen dem gar keine Bedeutung bei. Warum auch? Wenn eine Frau Merkel bei der Frage »Wo ist Berlin?« auf einer Weltkarte im Großraum Moskau sucht, dann kann es nicht so wichtig sein, was uns die Geister der Vergangenheit zuflüstern.

Außerdem würde der Spaß-fixierte Hedonist dabei nur vom Feiern und Saufen abgelenkt. Zuviel Denken ist unbequem – und beunruhigend noch dazu:

2.Tim 3,1-4 : Das sollst du aber wissen, daß in den letzten Tagen schlimme Zeiten kommen werden. Denn die Menschen werden viel von sich halten, geldgierig sein, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, gottlos, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, zuchtlos, wild, dem Guten feind, Verräter, unbedacht, aufgeblasen. Sie lieben die Wollust mehr als Gott;

Treffender kann man die derzeitige Gesellschaft wirklich nicht beschreiben, und das versaut einem doch nun wirklich jeden Spaß!

von
Michael Schwarz – 06.09.2016