Kann eine Annäherung der beiden Schwesterparteien CDU und CSU, die sich besonders in der Flüchtlingspolitik seit Monaten aufs Schärfste bekriegen, durch Interviews gelingen? Die bayerischen Konservativen  mahnen mit Horst Seehofer an der Spitze seit Monaten in der Flüchtlingspolitik, dass es in der Politik nicht immer nur um Fakten, sondern auch um Sorgen gehe – und um die richtigen Worte. 

Umso bemerkenswerter ist deshalb, dass sich Partei-Chef Horst Seehofer und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel im festgefahrenen Streit um die Flüchtlingspolitik nun verbal aufeinander zubewegen – vorsichtig noch zwar, aber erkennbar. Zugleich senden die Bundeskanzlerin mit ihren Reiseplänen und die EU mit ihrem Gipfelbeschluss von Bratislava Signale aus, dass die Lager der Hardliner und der Befürworter einer liberaleren Flüchtlingspolitik ernsthaft nach Kompromissen suchen.

Seehofer wedelt mit dem Friedenszweig

Seehofer macht in einem Spiegel-Interview deutlich, er wolle eine „Art Garantie, wie sich der Zustrom von Flüchtlingen künftig drastisch begrenzen lässt“. Die unbegrenzte Zuwanderung wie im vergangenen Jahr dürfe sich nicht wiederholen. Weil er gleichzeitig seine Forderung nach einer Obergrenze wiederholte, war dies zunächst als erneute Kampfansage an Merkel verkauft worden. Aber nach Angaben aus beiden Unionsparteien ist das genaue Gegenteil gemeint: Mit der Forderung nach einer „Art Garantie“ öffne der CSU-Chef den Weg für eine Alternativlösung.

Und wenn man den Beschluss des informellen Gipfels der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien von Freitag betrachtet, stellt man fest, dass dort auch von Merkel genau diese Formulierung beschlossen wurde: Die 27 EU-Staaten verpflichten sich, dass „wir niemals erlauben werden, zu den unkontrollierten Bewegungen im letzten Jahr zurückzukehren“. Die Zahl „irregulärer“ Migranten soll weiter reduziert werden. Das zielt genau auf die Zusicherung, die Bayerns Ministerpräsident einfordert, der dafür nun eine „Art Garantie“ der EU-Ebene erhält.

Die Kanzlerin ihrerseits macht ebenfalls „verbale Lockerungsübungen“, indem sie ihre Aussage „Wir schaffen das“ nunmehr anders einordnet. Der „Wirtschaftswoche“ sagte sie: „Manchmal denke ich aber auch, dass dieser Satz etwas überhöht wird, dass zu viel in ihn geheimnist wird. So viel, dass ich ihn am liebsten kaum noch wiederholen mag.“ Genau diesen Verzicht fordert die CSU aber von ihr seit Monaten, weil Hardliner wie Markus Söder die drei Worte als Provokation empfinden. „So war er natürlich nie gemeint, sondern anspornend, dezidiert anerkennend“, betont Merkel nun. Sie verweist allerdings auch darauf, dass sich die EU schon Ende letzten Jahres vorgenommen habe, dass 2016 auf keinen Fall wieder eine so hohe Zahl an Flüchtlingen und Migranten nach Europa kommt – was bisher auch zu gelingen scheint.

Merkel reist zu Hardlinern und relativiert ihre Worte

Die Kanzlerin hat mit zwei weiteren Gesten den Weg für eine Aussöhnung von CDU und CSU geebnet. Sie fliegt am Montag und Dienstag nicht etwa zum UN-Flüchtlingsgipfel nach New York, wo sie erneut als humanitäres Vorbild für die ganze Welt gefeiert worden wäre – sehr zum Ärger der Christlich Soziale Union (CSU) in Bayern, die als „christliche“ Partei mittlerweile wegen ihrer permanenten Obergrenzen-Forderungen sogar von den Kirchen scharf kritisiert wird. Stattdessen trifft sich die Kanzlerin am kommenden Samstag in Wien ausgerechnet mit der Fraktion südosteuropäischer Staaten, die Anfang des Jahres mit der Schließung der Balkan-Route überrascht hatte. Ihre Botschaft an dies Staaten lautet: „Die Zeit ist reif für eine gemeinsame europäische Flüchtlings-Politik sogar mit Ländern wie Österreich oder Ungarn.“

In Bratislava hatte Merkel sich zudem offen für die Forderungen der Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei) einer „flexiblen Solidarität“ gezeigt, was nichts anderes als die Aufgabe der verbindlichen Quote zur Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten bedeutet. Nun wird darüber nachgedacht, dass aufnahmeunwillige Länder im Gegenzug mehr Geld für die Versorgung der Flüchtlinge in ihren Heimatregionen zahlen und mehr Grenzschützer und Soldaten für den Schutz der EU-Außengrenzen abstellen.

Bis Anfang November soll die Verständigung stehen

Der Zeitplan für die Beilegung des Streits zwischen CDU und CSU ist klar abgesteckt. Der baden-württembergische CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart hatte schon letzte Woche nach einem Treffen mit Merkel verkündet, diese wolle den Streit mit der CSU über die Flüchtlingspolitik noch vor Anfang November beilegen. Dann findet nämlich der CSU-Parteitag statt, auf den sie ansonsten nicht fahren könnte.

Doch die verbale Annäherung erfordert viel Fingerspitzengefühl und gute Nerven, weil weder Seehofer noch Merkel das Gesicht verlieren wollen. Das erfordert, dass am Ende niemand triumphieren darf. Wie schnell dies schief gehen kann, hat Seehofer bereits bewiesen, denn die nun eingeforderte Politikwende hatte er bereits mehrfach als vollzogen gefeiert. Im März etwa hatte er so überschwänglich eine „Wende in der Flüchtlingspolitik“ verkündet, dass man sich in der CDU bemüßigt fühlte, ihm entschieden zu widersprechen. Im Mai hatte er dann nach der Verlängerung der deutschen Grenzkontrollen bis November gesagt: „Das Ende der Willkommenskultur ist notariell besiegelt“ – worauf Merkel kühl darauf hinwies, dass diese gefeierten Grenzkontrollen bereits seit September 2015 in Kraft seien. Der Streit ging danach von einer Runde in der andere.

von

Günter Schwarz – 18.09.2016