Sigmar Gabriel lässt sich im Iran beleidigen und lobt danach den Gastgeber. Hinter der diplomatischen „Jesus-Attitüde“ verbirgt sich Mutlosigkeit. – das ist ein Kommentar wert. – Als der deutsche Vizekanzler und Wirtscaftsminister Sigmar Gabriel nach Teheran reiste, wurde er erst einmal publizistisch begrüßt. „Lasst den Zionistenfreund nicht in unser Land“, schrieb eine Zeitung der Revolutionsgarden. Dazu wurde ­Gabriels Bild gezeigt, wie durch ein Zielfernrohr. Auch der iranische Justizchef, Sadegh Laridschani, meldete sich zur Ankunft. „Falls ich in der Regierung oder Außenminister wäre“, sagte er, „hätte ich dieser Person nicht erlaubt, ins Land zu reisen.“

Dessen Bruder, der iranische ­Parlamentspräsident Ali Laridschani, sagte am Dienstag sein Treffen mit ­Gabriel unerwartet ab. So saß der deutsche Handlungs­reisende in der Sonne von Teheran, trank Kaffee und machte Museums­besuche. Zurück in Berlin hatte er für die Beleidigung, die ihm widerfahren war, größtes Verständnis und redete die Situation „schön“. „Das ist Teil des inner-iranischen Wahlkampfes“, sagte er. Er habe sich in Iran gut ­aufgenommen gefühlt.

Gabriel sah seine Mission als geglückt an, auch die Strategie des „doppelten Dialogs“. Die SPD sei die Partei des „donnernden Sowohl-als-auch“, bemühte er stolz die Worte Willy Brandts. Gabriel meinte damit eine gelungene Kombination aus ­Diplomatie und Tadel. Im Spiegel hatte er sich vor der Reise ein Mütchen gefasst und Dinge gesagt wie: „Freundschaftliche Beziehungen zwischen ­Deutschland und Iran seien nur möglich, wenn Iran das ­Existenzrecht Israels anerkenne.“

Deutsche „Beleidigungsresistenz“

Der Besuch Gabriels steht symptomatisch für eine gewachsene Beleidigungsresistenz deutscher, ja generell westlicher Politiker. Gabriel wurde in Iran in beleidigender Weise behandelt und rühmt im Anschluss auch noch die iranische Gastfreundschaft – darüber wundern mag sich niemand mehr.

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich hinter Gabriels Freundlichkeit wahre Souveränität ­verberge, letztlich eine Leistung fortgeschrittener Zivilisiertheit: Beleidigung wird nicht mit Gegenbeleidigung oder gar Gewalt vergolten. Die Zeiten des Duellierens sind vorbei, und das ist gut. Aber es scheint, als habe die Deutschen das vernünftige Maß an Beleidigungsresistenz verloren. Konfrontation wird gescheut. Nach einem Staats­besuch rühmen sich deutsche und andere westliche Politiker schon, wenn sie vor den Ölgeschäften die Menschenrechte angesprochen haben.

Ehre ist ein Begriff, der im Westen unpopulär geworden ist. Im Orient und in Russland hingegen blüht er wie eh und je. Ja, es gibt eine eigentümliche Disbalance, was Ehre anbelangt. Die Ehre trennt den Orient vom Westen, dazwischen liegen – wie eine Pufferzone und etwas verloren in der Landschaft – die osteuropäischen Länder.

Der türkische Präsident Erdoğan etwa fühlt sich extrem schnell in seiner Ehre verletzt, sei es von Schmäh­gedichten am Fernsehen oder einer Armenien­-Resolution im Bundestag. Er und seine Leute reagieren dann meist ihrerseits mit Beleidigungen. Berüchtigt ist der türkische Justizminister Bekir Bozdag. Deutschen Abgeordneten mit türkischen Wurzeln, die für die Armenien-Resolution stimmten, ließ er ausrichten: „Leute mit so verdorbener Muttermilch, mit so verdorbenem Blut, können niemals die türkische Nation repräsentieren.“

Als der Bundestag die Verbrechen der Türken an den Armeniern als ­Völkermord anerkannte, verhängte die Türkei ein Verbot für deutsche Politiker: Sie durften die in Incirlik stationierten Bundeswehr-Soldaten nicht besuchen. Vor Kurzem erst wurde es aufgehoben, nachdem die deutsche Regierung die Armenien-­Resolution für nicht verbindlich erklärt hatte. Die Reaktion auf Druck ist Nachgeben, auf Beleidigung Schweigen.

Putin – ein Highlight

Erst gerade war Gabriel zu Gast beim russischen Präsidenten. Im Spiegel hieß es dazu, Gabriel sei am ­Moskauer Flughafen fröhlich gewesen. Er habe erzählt, „dass es schon etwas Besonderes sei, wenn Wladimir Putin sich zweieinhalb Stunden Zeit für einen nehme“. Östliche Potentaten zu treffen, ist für manche Politiker zuallererst ein biografisches Highlight. Wer einmal neben Gaddhafi im Beduinenzelt saß bei süßem Tee, fragt sich nicht mehr, wieso der Besuch stattgefunden hat.

Man wünscht sich keine Revolverhelden, aber doch ein Ende dieser ­diplomatischen „Jesus-Attitüde“; eine Rückkehr von Stolz und Ehre, so ­verstaubt diese Begriffe klingen mögen. Es fehlt eine gemäßigte Form der Ehre, oder sagen wir – für empfindlichere Zeitgenossen – ein gewisses Selbst­wertgefühl. Wer das nicht hat, macht sich lächerlich, wirkt bemitleidenswert.

Dies würde aber voraussetzen, den eigenen Wert zu kennen. Deutschland hätte Spielraum: Die wirtschaftlichen Interessen seitens Iran sind immens. Präsident Rohani will unbedingt nach Berlin reisen. Gabriel spricht von einer Politik des „donnernden Sowohl-als-auch“ und meint eine Politik der ­Mutlosigkeit und Unterwürfigkeit. Das ist die deutsche Antwort auf östliche Unverschämtheiten.

von

Günter Schwarz – 08.10.2016