(Chemnitz) Dutzende Hinweise gingen schon bei den Fahndern ein, aber noch  befindet sich der mutmaßliche Bombenbauer von Chemnitz auf der Flucht. Die Polizei fahndet bundesweit mit Hochdruck nach einem jungen Syrer. Wie Sprengstoffexperten inzwischen ermittelten, wurde der in der Chemnitzer Wohnung gefundene Sprengstoff schon bei den Anschlägen in Paris und Brüssel verwendet.


Fahndung nach Albakr – Vorsicht gefährlich – Er hat nichts mehr zu verlieren!
Nach dem Fund von hochexplosivem Sprengstoff in einer Wohnung in Chemnitz fahndet die Polizei bundesweit nach dem 22-jährigen Syrer Jaber Albakr. Er steht im Verdacht, einen Bombenanschlag geplant zu haben. Unklar ist, ob der Mann eine Waffe oder Sprengstoff bei sich trägt. „Es gibt zur Stunde keinen neuen Ermittlungsstand“, sagte ein Sprecher der Polizei in Dresden am Sonntagmorgen.

Drei syrische Bekannte des Mannes waren am Vortag als mögliche Komplizen in Chemnitz festgenommen worden, zwei von ihnen sind nach Polizeiangaben wieder frei. Bei dem dritten Syrer bestehe der Verdacht einer Mittäterschaft. Die Haftprüfung läuft, wie eine Sprecherin sagte. Es werde wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt.

Hochexplosiver Sprengstoff

Bei der Anti-Terror-Razzia in Chemnitz hatte die Polizei am Samstagmittag einige hundert Gramm hochexplosiven Sprengstoff in der Wohnung gefunden, in der sich der Verdächtige aufgehalten hatte. Den mutmaßlichen Bombenbauer trafen sie dort nicht an. Der Hauptbahnhof in Chemnitz wurde vorübergehend gesperrt. Auch an den beiden Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld wurden am Abend die Sicherheitsvorkehrungen erhöht.

Bei dem gefundenen Sprengstoff handelt es sich um TATP – er wurde auch schon bei den Anschlägen in Brüssel und Paris verwendet. Die Herstellung setzt einiges an Kenntnissen voraus, aber er kann aus Zusatzstoffen zusammengemischt werden, die frei verkäuflich sind: „Wer so etwas bauen kann, der ist in der Regel durch eine Ausbildung gegangen – in Syrien, möglicherweise im Irak“, sagt Terrorismusexperte Elmar Theveßen.

Spezialisten ließen den Sprengstoff am Samstagabend in zuvor ausgehobenen Gruben kontrolliert detonieren. Das Gemisch sei weit gefährlicher als TNT gewesen, hieß es. Die betroffene Plattenbau-Siedlung war stundenlang abgesperrt und wurde teilweise geräumt. Schon am Morgen hatten rund 80 Menschen ihr Zuhause verlassen müssen. Abends wurden viele Bewohner wieder zurück in ihre Wohnblöcke gelassen.

Seit Monaten unter Beobachtung

Im Zuge der Anti-Terror-Ermittlungen ließ die Polizei in Chemnitz auch den Hauptbahnhof teilweise sperren. Ein Spezialroboter untersuchte dort auf einem Bahnsteig einen roten Koffer, den zwei der festgenommenen Verdächtigen dort bei sich getragen hatten. Später gab es diesbezüglich Entwarnung.

Der Hinweis auf den Syrer war vom Verfassungsschutz gekommen. Nach Auskunft der Polizei war Jaber Albakr seit Monaten unter Beobachtung des Bundesamtes. Er wollte die Attacke allein ausführen, hat aber Mitwisser im Inland, sowie eine Verbindung in IS-Kreise im Ausland. Albakr soll 2015 als Flüchtling eingereist und als Asylbewerber anerkannt sein. Unklar ist, ob der Verdächtige aus dem Ausland gezielt gesteuert wurde.

„Er hat nichts mehr zu verlieren“

Nach Angaben der sächsischen Polizei stammt der 22-Jährige aus Saasaa nahe Damaskus. Aktuell trage er ein schwarzes Kapuzensweatshirt mit auffälligem Druck. Die Bevölkerung könne Hinweise zu Albakr jederzeit an das Landeskriminalamt Sachsen mitteilen (0351/8554114 oder lka@polizei.sachsen.de). „Dieser Mann könnte bewaffnet sein. Er ist auf der Flucht. Er hat nichts mehr zu verlieren, deshalb könnte er gefährlich sein“, ordnete Terrorismusexperte Theveßen die Fahndung ein. Auf ihrem Twitter-Kanal forderte die Polizei Sachsen die Bevölkerung auf: „Veröffentlicht keine Fotos oder Videos von polizeilichen Maßnahmen! Ihr gefährdet damit den Einsatz!“

In diesem Jahr waren bereits mehrfach Pläne für mutmaßliche Sprengstoffanschläge in Deutschland vereitelt worden. Im Februar kam die Polizei einer Gruppe auf die Schliche, die womöglich einen Anschlag in Berlin plante. Im Juni nahm die Polizei drei mutmaßliche IS-Anhänger fest, die es auf die Düsseldorfer Altstadt abgesehen haben sollen. Zuletzt flog im September ein 16-jähriger Flüchtling aus Syrien in Köln auf. Laut den Ermittlern hatte er einen Sprengstoffanschlag geplant und von einem Chatpartner im Ausland Anweisungen zum Bombenbau erhalten.

von

Günter Schwarz – 09.10.2016