Ein sogenannter Reichsbürger schoss im bayerischen Georgensgmünd am Mittwoch auf SEK-Beamte aus dem Hinterhalt, wobei vier Polizisten zum Teil schwer verletzt wurden. Einer der Beamten verstarb gestern Morgen an seinen schweren Schussverletzungen, wie die Polizeidirektion Franken Donnerstag früh bekanntgab. Aber was hat es mit der „Reichsbürgerbewegung“ auf sich? Geht von ihr auch in Norddeutschland eine Gefahr aus?

Grundsätzlich sind diese „Reichsbürger“ Menschen, die die Bundesrepublik und ihre bestehenden Institutionen nicht anerkennen. Sie gehen davon aus, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 nach wie vor fortbesteht. Die Bundesrepublik ist für sie ein Lügenkonstrukt und von daher wird ihre Verfassung, ihre Institutionen und ihre demokratisch gewählten Repräsentanten jede Legitimation abgesprochen. Stattdessen laufen „Reichsbürger“ mit Fantasiepapieren durch die Gegend, stellen sich gegenseitig sogenannte Reichsausweise aus. Darin bezeichnen sich einzelne Mitglieder als „Reichskanzler“ oder „Reichsminister“. Zum Teil bewegen sie sich im Bereich der strafbaren Amtsanmaßung. Im Kern vertreten sie ein rechtsextremes Weltbild. Zu ihren Vordenkern gehören Menschen wie der verurteilte Rechtsterrorist Manfred Roeder oder der Holocaustleugner, Volksverhetzer und Ex-RAF-Terrorist Horst Mahler. Die Reichsbürger beanspruchen für sich einen legitimen Widerstandskampf gegen die demokratische Ordnung zu führen – notfalls auch mit Gewalt.

Das schleswig-holsteinische Innenministerium in Kiel teilte mit, im Land zählen rund 40 Personen zu den sogenannten „Reichsbürgern“. Der Verfassungsschutz beobachtet diese Bewegung seit 2015. In Mecklenburg-Vorpommern ergab eine Anfrage der Linken an die Landesregierung, dass es seit 2011 mehr als 20 Ermittlungsverfahren gegen „Reichbürger“ gegeben hat. Allerdings gebe es dort keine Strukturen oder Organisationen, es handele sich um Einzelfälle und Kleinst-Gruppierungen. Auch in Hamburg sind bisher nur vereinzelt „Reichsbürger“ aufgefallen, so sagt das dortige Landesamt für Verfassungsschutz. In Niedersachsen steht eine Splittergruppe im Visier der Behörden. Sie nennt sich „Exilregierung Deutsches Reich“ und zählt etwa 25 Personen. Die Anzahl der den Behörden bekannten “Reichsbürgern“ im Norden ist somit überschaubar. Allerdings rechnen Experten mit einer höheren Dunkelziffer. Bundesweit spricht man von einer etwa vierstelligen Zahl von „Reichsbürgern“.

Die „Reichsbürger“wehren sich vor allem gegen jede Form von Abgaben und Steuern. Sie überziehen die Behörden mit einer Flut von Klagen und Beschwerden, in Einzelfällen eskalieren die Schikanen. Eine Gerichtsvollzieherin aus Verden wurde beispielsweise zunächst mit wirren E-Mails von einem „Reichsbürger“ bombardiert. Eines Tages stand der Mann bei ihrer Mutter vor der Tür. Im mecklenburgischen Wittenburg gingen Angehörige dieser Gruppierung immer wieder so rabiat vor, dass es in der Verwaltung einen Erlass gab, wonach in Büros keine schweren und spitzen Gegenstände mehr herumliegen dürfen, die von Besuchern als Waffe verwendet werden könnten. Diese Reihe ließe sich fast endlos fortsetzen. Nicht ohne Grund haben Ministerien in diversen Bundesländern mittlerweile Ratgeber herausgegeben, die auf den Umgang mit „Reichsbürgern“ vorbereiten sollen.

Der tödlich geendete Fall in Bayern zeigt deutlich, wozu einzelne „Reichsbürger“ fähig sind. Aber auch in Norddeutschland gab es schon gewaltsame Vorfälle. Bei einer Verkehrskontrolle in Mecklenburg-Vorpommern wurde ein Mann gestoppt. Er warf den Beamten vor, sie hätten keine Rechtsgrundlage für die Kontrolle. Die Gesetze der Bundesrepublik könne er nicht anerkennen. Dann trat er wutentbrannt aufs Gaspedal, obwohl der Beamte noch vor dem Wagen stand. Der Polizist wurde fast 40 Meter auf der Motorhaube mitgeschleift. Im Auto wurden „Reichsbürger“-Schriften gefunden, und der Anwalt des Mannes dementierte dennoch später vor Gericht, dass sein Mandant der Bewegung angehöre. Der Fahrer wurde wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. In Niedersachsen sprühte ein 31-Jähriger Pfefferspray in die Augen eines Beamten, als er kontrolliert werden sollte. Gegen den Mann wurde Haftbefehl erlassen.

Was die Behörden aber noch sorgenvoller stimmt, sind die Ausländer, die dem rechtsradikalen Teil der „Reichsbürger“ ein Dorn im Auge sind, und auch richtet sich ihre Wut vor allem gegen Beamte der Bundesrepublik. So mussten sich schon einige Gerichtsmitarbeiter oder Richter, Polizisten oder Politiker gegen die Wutbürger verteidigen.

Wie der Mann im bayerischen Georgensgmünd haben offenbar viele „Reichsbürger“ eine starke Affinität zu Waffen. In Paderborn stand zum Beispiel kürzlich ein Mann vor Gericht, weil er mit einem fingierten Waffenschein eines „Freistaates Preußen“ eine Maschinenpistole kaufen wollte. Und der andere Punkt: Es könnte sich die ein oder andere Figur aus dieser Szene weiter radikalisieren. Immerhin war auch der Utøya-Attentäter Anders Breivik Anhänger rechter Verschwörungstheorien – die sind der Gedankenwelt der Reichsbürger sehr nah.

von

Günter Schwarz  – 21.10.2016