(Rendsburg) – Schon 2011, vor fünf Jahren, wollte die Stadt Rendsburg der Kinderarmut begegnen, aber gebracht hat es so gut wie nichts, denn 37,1 Prozent der unter 16-Jährigen in der Stadt leben in Hartz-IV-Familien. Eine Nachhilfe engagieren, damit die Schulnoten besser werden? An der Klassenreise teilnehmen trotz der Zuzahlung? Die Mitgliedschaft im Sportverein für das Kind ermöglichen? Viele Eltern in Rendsburg müssen sich dreimal überlegen, ob sie für so etwas Geld ausgeben. Oft fehlt es sogar in der Schule an ein Paar Turnschuhen oder einem Tusch-oder Zirkelkasten. Und es ist nicht nur in Rendsburg so – auch andere Städte auf und ab im Land und Bund haben gleiche oder ähnliche Probleme.

Manchmal genügen schon ein paar Euro, um die größte aktuell vorliegende Not zu lindern. Dann sind Turnschuhe, Tusch- und Zirkelkasten erschwinglich, vorausgesetzt man entdeckt  günstige Angebote. Dabei spielen „Top-Marken“, die bei den Kindern und Jugendlichen „in“ sind, keine Rolle, denn wichtig ist nur, dass das Kind am Sport-, Kunst- oder Mathematikunterricht überhaupt teilnehmen kann.

Mehr als  jedes dritte Kind in Rendsburg lebt in einer Familien, die ihren Lebensunterhalt von Hartz IV bestreiten muss, und die jeden Cent mehr als zweimal umdreht, bevor die Entscheidung fällt, ob diese oder jene Ausgabe im Budget überhaupt drin ist. Leidtragende sind fast immer die Kinder. Reicht das Geld der Eltern partout nicht, bekommen es nahezu immer die Kinder zuerst zu spüren.

Der Kinderschutzbund versucht in solchen Fällen zu helfen, wo er helfen kann. „Ich habe den Eindruck, dass die Anrufe der Eltern bei unserem Sorgentelefon häufiger werden“, sagt der Vorsitzende des etwas über 100 Mitglieder zählenden Vereins des Kinderschutzbundes Rendsburg, Horst Reibisch.

Der nicht mehr praktizierende Kinderarzt aus Büdelsdorf schließt nicht aus, dass die steigende Zahl der Anrufe darauf zurückzuführen ist, „dass wir immer bekannter geworden sind“. Einen anderen möglichen Aufschluss über die Kinderarmut liefert auch die Armutsstatistik der Stadt Rendsburg. Der Anteil armer Kinder in der Altersgruppe der unter 16-Jährigen ist in den vergangenen fünf Jahren, seit die Stadt sich dagegen einsetzen wollte, sogar noch größer geworden. Im Jahr 2011, als die Stadt „vollmündig“ ankündete, der Armut unter Kindern gegensteuern zu wollen, lebten 35,8 Prozent der in Rendsburg gemeldeten Mädchen und Jungen in Familien, die staatliche Unterstützung aus Hartz IV erhalten. Inzwischen ist dieser Wert noch gestiegen und liegt aktuell bei 37,1 Prozent. Das sind insgesamt 1.465 Kinder und Jugendliche.

Diese Daten zeigen eindeutig. die Armutskonferenz, die 2011 von der Stadt initiiert wurde und der Kinderarmut den Kampf ansagte, blieb im Hinblick bisher nicht nur folgenlos in Bezug auf eine Verbesserung der Situation der Kinder und Jugendlichen, sondern sie verschlechterte deren Lage zudem noch, oder sarkastisch ausgedrückt muss man feststellen: „ Außer Spesen (für die Konferenzteilnehmer) „nix“ gewesen!“

Einzig und allein wurden aus den damals gewonnenen pädagogischen Erkenntnissen der Konferenz Schlüsse für die Stadtentwicklung gezogen. In dem am stärksten von Kinderarmut betroffenen Stadtteil Mastbrook im Norden der Stadt, in dem 54,7 Prozent der lebenden Kinder und Jugendliche als arm gelten, wurde in den vergangenen Jahren mit finanziellen Einsatz der Stadt die Sozialarbeit gefördert. So will man den Kindern Halt geben – und ihnen im Idealfall gar Lern- und Berufsperspektiven eröffnen. Eine geplante Mehrzweckhalle, die im Sommer 2018 fertig gestellt sein soll, soll der Verbesserung der Situation von Kindern aus sozial schwachen Familien dienen und als Anlaufpunkt und Veranstaltungszentrum genutzt werden. Die Stadt und das Land lassen sich das Projekt 6,5 Millionen Euro kosten.

Legt man diese 6,5 Millionen Euro auf alle in Rendsburg lebenden Kinder und Jugendliche in Kinderarmut um, somit entfällt auf jedes Kind der Stadt 4436,86 Euro! Hier stellt ernsthaft die Frage, ob man Gelder in derartigen Summen nicht besser direkt entweder in bar den Kindern zukommen lässt oder zumindest in Turnschuhe, Tuschkästen, Zirkelkästen und sonstige Dinge vorhält, die den Kindern und Jugendlichen wirklich helfen und von Nutzen sind.

Der Kinderschutzbund Rendsburg kann aufgrund seiner finanziell beschränkten Möglichkeiten pro Jahr nur etwa 4.000 Euro ausgeben, um Kindern und Jugendlichen in Not zu helfen. Dabei reichen oft schon Kleinbeträge unter 100 Euro, um die Not zu lindern und ein akut vorliegendes Problem zu lösen. In Einzel- uns Ausnahmefällen werden sogar bis zu 400 Euro bereitgestellt, wenn nach beispielsweise einem Umzug dringend benötigte Spielzeuge für Kleinkinder oder fehlende Möbel für Kinderzimmer angeschafft werden müssen.

Und in rund zwei Monaten steht Weihnachten vor der Tür – für arme Eltern ist es oft alles andere als die schönste Zeit des Jahres – für sie ist es eine verdammt bittere Zeit. Horst Reibisch kennt es aus Erfahrung: „Dann bitten Alleinerziehende um Hilfe, die noch nicht einmal Geld für ein kleines Weihnachtsgeschenk für ihre Kinder haben!“

Sicher kennt nicht nur Rendsburg das Problem – auch andere Städte landauf und ab in Schleswig-Holstein und in anderen Bundesländern haben gleiche oder ähnliche Probleme. Abschließend anzumerken sei noch, am geringsten ist die Kinderarmut im „goldenen Westen“ der Stadt. Hier liegt ihr Anteil „nur“ bei 29,2 Prozent, was genau um diese Prozentzahl zu hoch ist.

Die Ortsgruppe Rendsburg des Kinderschutzbundes erreichen sie unter: http://kinderschutzbund-rendsburg.de/ . Sollten sie materiell und/oder finanziell zu helfen imstande sein, nehmen sie bitte Kontakt zu ihm auf. – Info: Ortsgruppen des Deutschen Kinderschutzbundes e.V. gibt es auch in vielen anderen größeren Gemeinden und Städten.

von

Günter Schwarz  – 23.10.2016