(Brüssel) – Aus Donnerstag ist Sonntag geworden, CETA ist ins Ziel gestolpert, aus einem glanzvollen EU-Sondergipfel eine eilig zusammengeschusterte Unterschriftszeremonie mit abgeriegelten EU-Gebäuden und anhaltender Kritik als Begleitmusik – aber der europäisch-kanadische Handelspakt CETA ist seit dem Wochenende Realität.. Die einigermaßen improvisierte Unterzeichnung des europäisch-kanadischen Handelsabkommens am Sonntag verlief alles andere als glanzvoll. Gekrönt wurden die „Tage des Dramas“ von einer Flugzeugpanne von Kanadas Premier Justin Trudeau. Demos und abgeriegelte EU-Institutionen begleiteten die lange umkämpfte Geburt des Handelsabkommens. Dessen Gegner wenden sich indes schon dem nächsten Schlachtfeld zu: dem TTIP-Pakt mit den USA.

Die Unterzeichnung des Handelsabkommens verzögerte sich am Sonntag bis zum Nachmittag, weil das Flugzeug des kanadischen Premiers Justin Trudeau technische Probleme hatte. Trudeaus Maschine musste 30 Minuten nach dem Start wegen technischer Probleme in die kanadische Hauptstadt Ottawa zurückkehren. Zuvor hatte sich der Abflug schon um 90 Minuten verzögert. In Brüssel kam es währenddessen bei Demonstrationen zu Festnahmen.

„So schaut Demokratie aus“

Laut Polizeiangaben hatten sich rund 250 Demonstranten vor dem EU-Ratsgebäude versammelt. Einigen von ihnen gelang es, bis ins Foyer vorzudringen. Manche von ihnen warfen Farbbeutel, die Menge skandierte dazu nur bedingt passend: „So schaut Demokratie aus.“ Der Rat wurde zeitweilig abgeriegelt. Medienvertreter, die sich bereits im Gebäude befanden, durften dieses nicht mehr verlassen. Die Polizei nahm 16 Demonstranten fest.

Trudeau, EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie für den derzeitigen Ratsvorsitz der slowakische Regierungschef Robert Fico unterschrieben schließlich gemeinsam den Vertrag. „Ende gut, alles gut“, kommentierte Juncker. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von einem guten Tag für die Europäische Union und für Kanada und sagte, CETA werde Standard für alle künftigen Abkommen sein.

Die nächsten Schritte

Als nächster Schritt wird der Handelspakt nun dem Europaparlament zur Ratifizierung vorgelegt. Erst dann können die ausschließlich unter EU-Kompetenz fallenden Teile des Abkommens vorläufig in Kraft gesetzt werden. Damit das Abkommen komplett und dauerhaft in Kraft treten kann, müssen aber auch die nationalen Parlamente zustimmen. Eine Frist dafür gibt es nicht. Auch nationale Gerichte sowie der Europäische Gerichtshof (EuGH) befassen sich noch mit dem Abkommen.

Kritiker hoffen weiter auf Scheitern

Eigentlich hätte Trudeau schon am Donnerstag anreisen sollen. Der geplante Gipfel platzte aber, weil belgische Regionalvertreter noch bis zuletzt mit der wallonischen Föderal-Regierung um Zusicherungen verhandelten. Das Abkommen soll nach EU-Angaben 99 Prozent der Zölle im Handel zwischen der EU und Kanada beseitigen und so die Wirtschaft beflügeln. Kritiker befürchten hingegen sinkende Umwelt- oder Verbraucherschutzstandards.

Greenpeace erklärte etwa anlässlich der Unterzeichnung in einer Mitteilung, das Abkommen werde den noch nötigen Ratifizierungsprozess durch nationale Parlamente und juristische Prüfungen nicht überleben. „Es ist Zeit für unsere Regierungen, die Zusammenarbeit mit Unternehmenslobbyisten zu beenden und eine Handelspolitik neu zu entwerfen, die Demokratie respektiert und das öffentliche Interesse fördert.“

CETA erledigt, TTIP im Fokus

Noch vor der Unterzeichnung von CETA rückte allerdings wieder dessen „großer Bruder“ TTIP, das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, in den Fokus. Einig waren sich alle Beteiligten, dass man sich eine Wiederholung der Querelen von CETA ersparen wolle. Auch der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette, zur Galionsfigur der CETA-Gegner geworden, erklärte sein Vorgehen zum Erfolg, weil TTIP nun „tot und begraben“ sei.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström widersprach Magnette allerdings prompt. „TTIP ist nicht tot, aber es gibt auch noch keine Einigung“, konterte sie. Die US-Präsidentenwahl sorge naturgemäß für eine Pause. Die Gespräche würden aber mit der neuen Regierung in Washington wieder aufgenommen. Für einen Mittelweg plädierten einig der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn als Sozialdemokrat und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP).

„So wie bisher kann es nicht weitergehen“

„Wir brauchen nach den US-Wahlen einen neuen Start für das Freihandelsabkommen mit den USA. Das Verhandlungsmandat braucht klarere Kanten“, sagte Asselborn gegenüber der „Welt am Sonntag“. „So wie bisher kann die europäische Handelspolitik nicht weitermachen“, meinte Mitterlehner. „Daher müssen wir auch bei TTIP umdenken.“ Er plädiert, im Unterschied etwa zur deutschen SPD, für einen kompletten Neustart der Verhandlungen.

Auch der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, hat gegen eine Abkühlungsphase bei den TTIP-Verhandlungen offenbar nichts. Diese würde gerade angesichts von CETA im Gegenteil die Skepsis bei der Bevölkerung mindern helfen: „Wenn CETA einmal wirkt, sehe ich durchaus gute Chancen für das EU-US-Freihandelsabkommen TTIP“, ist Weber überzeugt.

von

Günter Schwarz  – 30.10.2016