(Istanbul) – Der in Istanbul wegen Terrorvorwürfen inhaftierten türkischen Schriftstellerin Asli Erdogan droht die höchste Gefängnisstrafe: lebenslange Haft. Das gleiche Strafmaß fordere der Staatsanwalt für acht weitere Angeklagte, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag unter Berufung auf die Anklageschrift. Ihnen allen werden unter anderem Mitgliedschaft und Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorgeworfen.

Die Autorin war im Rahmen einer Razzia gegen Unterstützer der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ Mitte August festgenommen worden, wenig später wurde Haftbefehl erlassen. Sie schrieb unter anderem Kolumnen für die inzwischen geschlossene „Özgür Gündem“ und war auch im Beirat der Zeitung.

Mit eindringlichen Worten hat sich die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan noch im Oktober an die Besucher der Frankfurter Buchmesse gewandt. Da sie schon seit zwei Monaten im Gefängnis saß, wurde ihr Appell verlesen: „Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich – wie aus einem Brunnenschacht – zu euch: Hier, in meinem Land, lässt man mit einer unvorstellbaren Rohheit das Gewissen verkommen!“

Die 1967 in Istanbul geborene Asli Erdoğan ist auch international bekannt. Ihre Bücher wurden unter anderem im Züricher Unionsverlag publiziert. Erdogan hatte zunächst Informatik und Physik studiert und arbeitete von 1991 bis 1993 als Physikerin am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf und in Rio de Janeiro.

Mitte der Neunziger erschienen ihre ersten Romane, ins Deutsche übersetzt sind „Der wundersame Mandarin“ und „Die Stadt mit der roten Pelerine“ sowie der Erzählband „Holzvögel“. Aslı Erdoğan beendete ihre Laufbahn als Wissenschaftlerin und widmete sich ganz dem Schreiben; neben Prosa verfasste sie Kolumnen für die vor drei Jahren eingestellte linksliberale Zeitung „Radikal“. Dabei fasste sie Themen an, die in jenen Jahren – der Kurdenkonflikt tobte mit voller Wucht – publizistische Minenfelder waren: Folter, Gewalt gegen Frauen, staatliche Repression. Sie wurde zur Fürsprecherin der kurdischen Minderheit, obwohl sie selbst keine Kurdin ist. 2008 gehörte sie zu den ersten Intellektuellen, die sich bei den Armeniern für ihr erlittenes Unrecht entschuldigten.

Die Namensgleichheit mit dem despotischen türkischen Präsidenten ist eine Ironie des Zufalls, die beiden sind nicht miteinander verwandt. Jetzt sitzt die 49-Jährige sitzt im Istanbuler Bakırköy-Gefängnis

von

Günter Schwarz – 12.11.2016