(Berlin) – Sie waren bekannt, aber bisher hatte der Verfassungsschutz nur einen Teil der „Reichsbürger“ im Visier. Sogenannte „Reichsbürger“ haben mit Angriffen auf Polizisten Angst und Schrecken erzeugt. Einen Monat nach den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten prüft das Bundesamt eine schärfere Beobachtung. Nach Ansicht der Grünen, hätte das schon viel früher passieren müssen.

Einen Monat nach den tödlichen Schüssen eines sogenannten „Reichsbürgers“ auf einen Polizisten rückt eine schärfere Beobachtung durch den Verfassungsschutz womöglich näher. Das Bundesinnenministerium hat das Bundesamt für Verfassungsschutz gebeten, die bisherige Bewertung der „Reichsbürgerszene“ zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz zu überprüfen. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Frage der Grünen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Überprüfung sei noch nicht abgeschlossen.

Noch im September 2015 hatte das Ministerium auf die Frage, warum die Bewegung nicht vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werde, argumentiert, dass eine einheitliche „Reichsbürgerbewegung“ nicht existiere, vielmehr sei die Bewegung zersplittert und heterogen. Die Aktivitäten seien in jedem Einzelfall zu prüfen.

Unterschiedliche Regel je nach Bundesland

Mehrere Landesbehörden haben die „Reichsbürger“ bereits im Visier, schätzen sie aber unterschiedlich ein. Anfang der Woche hatte sie der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt als verfassungsfeindlich eingestuft. Auch in Hamburg wurden die Anhänger der Bewegung laut Verfassungsschutz sämtlich als verfassungsfeindlich identifiziert. Etwa 50 Personen stünden unter Beobachtung, teilte ein Sprecher der Behörde mit.

Der Thüringer Verfassungsschutz hatte nach Angaben einer Sprecherin bisher nur dann ein Auge auf Gruppierungen, wenn es antisemitische Züge oder Verquickungen mit der rechtsextremen Szene gab. „Angesichts der jüngsten Ereignisse erscheint es geboten, den Beobachtungskreis weiter zu fassen“, erklärte die Sprecherin.

Am Donnerstag hatte ein „Reichsbürger“ in seiner Wohnung im niedersächsischen Sögel sechs Polizisten mit Pfefferspray verletzt. Im Oktober hatte ein weiterer „Reichsbürger“ in Georgensgmünd bei Nürnberg einen Polizisten erschossen und drei Beamte zum Teil schwer verletzt.

Gemeinsame Sitzung der Verfassungsschutz-Behörden

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic erklärte: „Eigentlich hätte es nicht erst dieses schrecklichen Anlasses in Bayern bedurft, um zu erkennen, dass die Reichsbürger eine gefährliche rechtsextreme Bewegung sind.“ Sie erwarte, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz bei einer gemeinsamen Sitzung mit den Landesämtern am Montag seine „Passivität“ im Umgang mit den „Reichsbürgern“ aufgebe.

„Reichsbürger“ verweigern Steuern, halten sich nicht an Gesetze und Vorschriften und lehnen den Staat Bundesrepublik Deutschland ab. Sogenannte „Reichsbürger“ kommen häufig mit dem Gesetz in Konflikt, denn sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an und sehen es wenn überhaupt als „verwaltungstechnisches Gebilde“. Stattdessen behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Häufig legen sie dabei die Grenzen von 1937 zugrunde.

Daher sprechen sie dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab. Sie weigern sich, amtlichen Bescheiden Folge zu leisten und bedrohen Polizisten oder Gerichtsvollzieher. Sie lehnen es überdies ab, Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder zu zahlen und sind mit erfundenen Ausweispapieren oder Autokennzeichen unterwegs.

„Reichsbürger“ wollten „Verwirrung stiften, um staatliche Stellen vom rechtlich gebotenen Handeln abzulenken“, heißt es etwa beim Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt. Etliche Akteure sind nach Einschätzung der Behörden in der rechtsextremen Szene aktiv. Wie viele „Reichsbürger“ es genau gibt, ist unbekannt. 

von

Günter Schwarz  – 19.11.2016