(Wiesbaden) – Die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden gab am Freitag das „Wort des Jahres“ 2016 bekannt. Gekürt wurde der Begriff „postfaktisch“! Vor kurzem vor kurzem „postfaktisch“ es in der englischen Übersetzung „post-truth“ schon zum „International Word of the Year“ 2016 gebracht, gekürt von den Oxford Dictionaries. Die Wahl sei „absolut angemessen“, findet Jochen Hörisch, Medienwissenschaftler an der Universität Mannheim.

In politischen und gesellschaftlichen Diskussionen gehe es zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten, erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am Freitag in Wiesbaden. Insofern stehe das Wort für einen tiefgreifenden politischen Wandel. Immer größere Bevölkerungsschichten seien aus Widerwillen gegen „die da oben“ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen zu akzeptieren. Die Entscheidung der Jury sei einstimmig ausgefallen, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft, Professor Peter Schlobinski.

„Es trifft den heißen Kern der Probleme, die wir haben“, sagte der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch. Politiker wie Trump oder Putin hätten ein „entspanntes Verhältnis zur Wahrheit“. Fakten seien für sie nicht mehr entscheidend: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Das war bei Pipi Langstrumpf noch ein charmanter Satz. Man setzt sich damit eine Kinder-Fantasiewelt zusammen. Es ist aber keine Fantasiewelt, sondern es ist eine Paranoia-Welt, die hier Zustimmung findet.“

Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt seit 1971 jährlich einen Begriff, der das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben besonders geprägt und die öffentliche Diskussion dominiert hat. Eine Jury, bestehend aus dem Hauptvorstand der Gesellschaft und ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern, erstellt kurz vor Jahresende eine Rangliste mit zehn Wörtern, an deren Spitze das Wort des Jahres steht. Mehr als tausend Vorschläge sammelt die Gesellschaft für deutsche Sprache Jahr für Jahr – aus Medienberichten oder privaten Einsendungen. Die Jury der Gesellschaft wählt das „Wort des Jahres“ alljährlich aus Tausenden Vorschlägen Wörter und Wendungen heraus, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich besonders bestimmt haben. 2015 lag der Begriff „Flüchtlinge“ ganz vorn.

Auf Platz zwei der Liste der Gesellschaft landete das Kunstwort „Brexit“, mit dem der geplante Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) bezeichnet wird. Das vorangegangene Referendum sei zugleich ein „Triumph postfaktischer Politik“ gewesen, denn die Befürworter seien mit zum Teil gezielten Fehlinformationen vorgegangen. Auf Platz drei wählten die Experten den Begriff „Silvesternacht“, mit dem nach den massenhaften Übergriffen auf Frauen vor allem in Köln nun neue, unerfreuliche Assoziationen verbunden seien.

Für die Auswahl entscheidend ist der Sprachgesellschaft zufolge nicht die Häufigkeit eines Ausdrucks, sondern vielmehr seine Signifikanz, Popularität und sprachliche Qualität. Die Berliner „Lichtgrenze“ zum Mauerfall-Jubiläum war das „Wort des Jahres“ 2014. Den sprachlichen Nerv der Zeit hatten in den Jahren zuvor – nach dem Urteil der Jury – die Abkürzung GroKo für Große Koalition (2013), die Rettungsroutine (2012) und der Stresstest (2011) getroffen.

Eine andere Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten kürt zudem jedes Jahr ein „Unwort“. Am 10. Januar wird die Entscheidung für 2016 bekanntgegeben.

von

Günter Schwarz – 10.12.2016